Olympia-Blog Leichtathletik.de – Das neue Peking

Die Olympischen Spiele in Peking sind eine Herausforderung für alle Beteiligten. Der Olympia-Blog liefert ganz persönliche Eindrücke vom Olympia-Alltag in China. Christian Ermert hat für leichtathletik.de den ersten Leichtathletik-Tag verfolgt.

Leichtathletik.de - DAs neue Peking - Foto: ChaiFür echte Leichtathletik-Fans war Olympia vor diesem Freitag kaum mehr als ein Vorprogramm, das Appetit auf mehr macht. Kaum hat die Leichtathletik begonnen, zeigt sich auch Pekings Wetter überraschend von seiner besten Seite. Ein wolkenloser blauer Himmel spannt sich über das "Vogelnest", wie das Stadion genannt wird, die Sonne versinkt hinter den Bergen im Westen der Stadt, die sich zum ersten Mal seit meiner Ankunft nicht im Dunst verstecken.

Tausende genießen auf der kilometerlangen Olympiameile zwischen Schwimm- und Nationalstadion die letzten Strahlen, bevor sich das Stadion füllt. Die Chinesen und ihre Gäste aus aller Welt sitzen auf Bänken unter den vielen neu angepflanzten Bäumchen und lassen sich einen Snack schmecken, bevor sie in die Superarena pilgern, wo 91.000 Menschen Platz finden.

Englisch-Übungen am Vogelnest

Auf dem Weg zur ersten Abendveranstaltung mit Kugelstoß- und 10.000-Meter-Entscheidung spricht mich plötzlich eine junge Chinesin auf Englisch an und schiebt ihren zirka achtjährigen Sohn zu mir. „Sprechen Sie bitte ein paar Worte mit ihm, er würde so gern reden, aber er traut sich nicht“, sagt sie. „Hallo“, fange ich an, und er antwortet: „Woher kommen Sie?“ Deutschland kennt er, für viel mehr als die Auskunft, dass er in Peking lebt und Englisch in der Schule lernt, reicht die Zeit nicht mehr. Der Strom der Massen auf dem Weg ins "Vogelnest" reißt uns auseinander.

Überall bleiben die Menschen stehen, fotografieren sich gegenseitig vor der Kulisse des Stadions, viele haben sich China-Flaggen auf die Wangen gemalt – ihnen ist die Vorfreude auf die Leichtathletik-Wettbewerbe anzusehen – auch wenn an diesem Abend gar keine Chinesen um die Medaillen kämpfen. Während die Jüngeren sich einfach nur freuen, sind viele Ältere sichtlich ergriffen, ein solches Ereignis in ihrem Land erleben zu dürfen. Diese Menschen haben es verdient, Olympia-Gastgeber zu sein – auch wenn das für die politische Führung nicht gilt, denen die glanzvollen Sport-Inszenierungen sicher auch als Ablenkungsmanöver von Menschenrechtsverletzungen und vom Tibet-Konflikt dienen.

91.000 Zuschauer am ersten Abend

Das Vogelnest ist ausverkauft. Die 91.000 Zuschauer feuern schon bei den 1.500-Meter-Vorläufen die Athleten an, als ginge es um Gold. Wie laut wird es wohl werden, wenn es morgen Abend um 22:30 Uhr Ortszeit zum 100-Meter-Showdown zwischen Asafa Powell, Usain Bolt und Tyson Gay kommt? Oder wenn am Montag Hürdensprinter Liu Xiang zum ersten Mal an den Start geht? Vielleicht packe ich Ohrenstöpsel ein.

Diese Atmosphäre beeindruckte auch Carsten Schlangen, unseren deutschen Starter: „Mir ging schon vor dem Start mächtig die Pumpe – mein erster Olympia-Start und dann gleich in diesem Stadion. Das ist Wahnsinn“, sprudelte es aus ihm heraus, nachdem er sich in 3:36,34 Minuten als Sechster in seinem Vorlauf für die nächste Runde qualifiziert hatte. „Das ist ja wie auf den schönsten TV-Bildern, die mir aus meiner Kindheit in Erinnerung geblieben sind.“ Und Antje Möldner meinte nach ihrem deutschen Rekord über 3.000 Meter Hindernis. „Das war einfach faszinierend, ich habe noch nie so viele Menschen in einem Stadion gesehen.“

Sich wundern gehört dazu

Ablenken oder gar blenden ließ sie sich davon genauso wenig wie Carsten Schlangen. Erst konzentrierte er sich auf sein Rennen, dann wunderte er sich über die Konkurrenz. „Wie der Rashid Ramzi hier aus der Versenkung aufgetaucht ist, beeindruckt mich schon“, staunte er, nachdem der Bahrainer seine Saisonbestzeit aus Regionen jenseits der 3:37 auf 3:32,89 Minuten gesteigert hatte. Ich wunderte mich vor allem darüber, wie locker der frühere Doppel-Weltmeister über 800 und 1.500 Meter nach dem superschnellen Vorlauf-Endspurt die Treppen zum Fernseh-Interview raufspurtete. Eigentlich sollte in den Minuten nach dem Lauf eine Menge Laktat die Beine lähmen…

Alles andere als gelähmt waren an diesem Abend die Beine von Sabrina Mockenhaupt, die mich mit einem Super-Rennen über 10.000 Meter begeisterte und nach Platz 13 mit neuer persönlicher Bestleistung einen Satz sprach, den wohl sehr viele der ausländischen Gäste hier unterschreiben würden – zumindest, solange es um die Menschen und nicht um die Politik geht: „Ich muss meine Meinung über China revidieren.“

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