Sieg oder Niederlage?

Ein Jahr nach dem Europacup in München

Sieger oder Verlierer - Eine Illustration von Norman Palm zum Blogbeitrag Sieg oder NiederlageViele Leichtathletikfreunde können sich noch sehr genau an die unschönen Bilder vom 3000m Lauf des Europacups in München aus dem letzten Jahr erinnern. Ich hatte einen rabenschwarzen Tag erwischt, wie er glücklicherweise selten vorkommt. Erst kürzlich wurde ich von einem deutschen Studenten und Leichtathletikfreund im Trainingslager in Südafrika gefragt, wie ich mich um alles in der Welt von diesem 3000m Lauf bis heute erholen konnte.

Nach dem Lauf

Ich hatte mich völlig verausgabt. Noch nie zuvor war ich so über mein Leistungslimit gegangen. Direkt nach dem Lauf wurde ich sofort vom DLV-Arzt, von Jürgen Mallow schon drei Runden vor Schluß nach unten in den Zielbereich geschickt, versorgt.

Unten in den Katakomben des Olympiastadions lag ich völlig ausgepumpt auf der Liege. Mir war unglaublich schlecht. Mein Herz raste und meine Gedanken. "Nein, ich habe total versagt – die Mannschaft lag in Führung und dann komm ich und werde Letzter. Vor ein paar Tagen habe ich so ein gutes Rennen gemacht – warum nicht hier und heute?" Die Gedanken hörten nicht auf und ich steigerte mich immer weiter in Selbstvorwürfe.

Ich konnte mich sehr glücklich schätzen, dass mein Teamkollege Franek Haschke, der am Vortag ein exzellentes Rennen über die 1500m gelaufen war, direkt in den Ärzteraum kam und mich beruhigte.

Medienrummel

Nach meinem Lauf kam nur noch die 4x400m Staffel – wir konnten nicht mehr gewinnen, sondern nur noch punktgleich mit Frankreich den zweiten Platz erringen. Die Einzelplatzierungen gaben damals den Ausschlag, dass Frankreich den Europacup gewann – und ich ihn verlor. So sahen es zumindest die Medien…

Nach dem Europacup zeigten sich die Zeitungen mit Ausnahme der FAZ viel weniger gnädig mit meinem "Versagen", als die vom Sportsgeist geprägte DLV-Mannschaft.

Ich versuchte seiner Zeit die Erlebnisse schnell zu verdrängen – die Deutschen Meisterschaften in Erfurt standen an und diverse Meetings. Nach Möglichkeit versuchte ich normal weiter zu trainieren und konnte schon bald an meine alten Leistungen anknüpfen. Die Erinnerung an das Tief von damals gibt mir heute Kraft.

Metamorphose: Vom Sündenbock zum Held

Heute, fast ein Jahr nach dem Europacup, bekam ich vom Tröster von damals eine Email. "Übrigens Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Europacups in München [...] " und es folgten einige unschöne Worte über dopende Sportler. Ich mußte mich selbst zunächst informieren:

Beim Hammerwerfer Nicolas Figere stellte die Dopingkontrolle die Einnahme des Stimulans Cathin fest. Die punktgleiche französische Mannschaft büßte damit vier Punkte ein und liegt nun auf Rang zwei hinter der DLV-Auswahl.

Viele fragen sich bestimmt, was ich heute früh empfand, als ich beim Cappuccino las, dass all die Last und Schmach von damals plötzlich von mir abfällt. Ich war plötzlich nicht mehr schuld am verpassten Europacup-Sieg. Im Gegenteil, ich dürfte mich durch die Nachricht nun wie ein Held fühlen, der bei aller Gefahr für die Gesundheit noch den einen Punkt für die Mannschaft ins Ziel rettete…

Ehrlich gesagt, ich fühlte gar nichts und das ist das Problem. Der Wettkampf liegt lange zurück. Die Sieger haben ihre Siegesfeier gehabt und die Medien ihre Meldungen. Die Zeit, sich als Sieger zu fühlen ist vorüber. Als Letztes machen sich vermutlich die Anwälte über die zurückzufordernden Prämien her. Da liegt das Problem im Sportbetrug.

Danke für Ihr Interesse, Carsten Schlangen


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