Mutiger Schritt in die richtige Richtung

Vielleicht wirkte das desolate Auftreten der Männer und Frauen beim Europacup-Finale in Malaga in den Köpfen der Funktionäre noch nach …

Der zusätzliche Tag des Wartens sollte sich für alle Beteiligten gelohnt haben. Ganz im Gegensatz zu bisherigen Praktiken hat sich der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) einen Tag mehr Zeit gelassen, bis die Nominierung der Nationalmannschaft der Öffentlichkeit bekannt gegeben wurde. Die gezeigten Leistungen bei den Titelkämpfen in Ulm waren sicherlich weniger der Anlass dazu, insgesamt achtzig Athleten einschließlich der üppig besetzten Staffelkonkurrenzen für das Europachampionat von 7. bis 13. August in Göteborg zu nominieren.

Vielmehr vielleicht wirkte das desolate Auftreten der Männer und Frauen beim Europacup-Finale in Malaga in den Köpfen der Funktionäre noch nach, als eine nominell starke Nationalmannschaft den besten europäischen Teams mehr oder weniger hinterher stolperte und letztlich von der Konkurrenz aus Russland, Frankreich, Groß-Britannien und Co. mit den Rängen fünf (Frauen) und acht (Männer) abgewatscht wurde. Und mit einem Brandbrief in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt wurde.

Elf Athleten
Elf Athleten bekommen für Göteborg eine Chance, die über den gewiss verschärften Qualifikationsnormen des DLV geblieben sind, aber unter der Rubrik „Perspektive“ ihre internationale Bewährungsprobe starten dürfen. Gut so, denn die Decke hinter den vermeindlichen Etablierten ist leider sehr dünn, wenn die Altvorderen wie Lars Riedel, Frank Dietzsch und Co. einmal abgetreten sind, die aktuell als Medaillenkandidaten wie auch Steffi Nerius, Christina Obergföll, Petra Lammert, Ralf Bartels und Kirsten Bolm gehandelt werden. Wer hat bislang schon einmal, sieht man von den absoluten Insidern einmal ab, von der Hochspringerin Julia Hartmann, der Siebenkämpferin Jennifer Oeser, vom Weitspringer Sebastian Bayer – oder gar vom 1500 m-Läufer Carsten Schlangen etwas gehört?

Im Laufbereich sieht die Präsenz nicht einmal schlecht aus, werden doch alle EM-tauglichen Athleten gegen die europäische Elite ins Rennen geschickt. Nach dem neuerlichen vergeblichen Versuch von Olympiasieger Nils Schumann ist über die 800 m-Strecke alleine René Herms nominiert. Ihm ist ein großes Maß an taktischem Geschick zu wünschen, damit er vielleicht den Sprung ins Finale schaffen kann.

Mockenhaupt und Mikitenko
Unstrittig dabei Sabrina Mockenhaupt, die mit männlicher Hilfe in Regensburg die 10 000 m-Norm knacken konnte, und für Göteborg für beide längeren Bahndistanzen benannt ist. Dies vor dem Hintergrund, dass „Mocki“ nach einer längeren Verletzungspause nur schwerfällig wieder in Schwung gekommen ist und ihren besten Zeiten derzeit hinterher schauen muss.

Mit großer Hingabe rannte dagegen Irina Mikitenko in Tübingen (10 000 m) und Ulm (5000 m) gegen von ihr nicht zu verantwortenden Mängel (mangelnde Konkurrenz, Hitze) gegen die Normvorgaben an – und verpasste beide knapp. Dennoch ist sie nach ihrer Babypause solide stark zurück gekommen. Und dieses haben die DLV-Zensoren gottlob ebenso berücksichtigt wie die souveräne Vorstellung der Hindernisläuferin Verena Dreier knapp über der harten DLV-Norm.
Mit Monika Gratzki schickt der DLV zumindest die aktuelle 800 m-Meisterin, auch wenn diese anstelle der zweimal geforderten Norm nur einmal unter 2:01,50 Minuten blieb. Einer jungen Athletin wie dies Janina Goldfuß ist, bleibt der EM-Start ebenso verwehrt wie einer Antje Möldner, die mit 22 Jahren sich ausgerechnet bei den Titelkämpfen in Ulm so „grün“ zeigte, dass selbst der sicher geglaubte 1500 m-Meistertitel an die spurtstärkere Kerstin Werner ging.

Überraschung Carsten Schlangen
Die Nominierungs-Überraschung im Laufbereich ist sicherlich 1500 m-Meister Carsten Schlangen, der just erst in Ulm einen Einzeltitel gewinnen konnte, sonst eher aus solider Läufer im niedrigen 3:40-Minuten-Bereich einzuordnen war. Er wird in Göteborg erstmals das Nationaltrikot tragen. Nach seinem Wechsel von Meppen in die Hauptstadt zur LG Nord Berlin steigerte er sich im Kollegenteam mit Franek Haschke und Jonas Stifel auf 3:38,04 Minuten und führt damit die nationale Rangliste knapp vor seinen Trainingspartnern Haschke und Stifel an.

Marathon mit Luminita Zaituc
Eine Bank sind die Marathon-Frauen mit Luminita Zaituc (2:27:34/ 2005 Berlin), Claudia Dreher (2:31:37/ 2005 Köln), Ulrike Maisch (2:31:56/ 2006 Hamburg) und Susanne Hahn (2:32:34/ 2006 Rotterdam), die sicherlich jedem Zweifel erhaben sind. Warum allerdings nicht das mögliche Kontingent für den zudem ausgetragenen Team-Europacup mit einer fünften Läuferin wie Melanie Kraus oder der jungen Romy Spitzmüller ausgenutzt wurde, enttäuscht etwas.

Abwesenheit der Marathon-Männer
Der deutsche Marathon, Abteilung Männer, wird hingegen in Göteborg einmal mehr durch Abwesenheit glänzen. Der Grund ist vordergründig klar: Keiner (!) kam auch nur in die Nähe der geforderten 2:14:00 Stunden. Unsere besten Läufer Ulrich Steidl (Rodenbach) und Martin Beckmann (Leinfelden) liegen mit 2:16:02 und 2:17:00 Stunden zwar deutlich über der (deutschen) Mindestzeit, aber es wäre sicherlich ein wichtiges Zeichen für den deutschen Langstreckenlauf. Schließlich hätte auch der mittelfristige Aufbau einer Europacup-Mannschaft schon ein Schritt in die richtige Richtung bedeuten können.

So ist der Langstreckenbereich der Männer nur mit den bei den 10 000 m-Meisterschaften in Tübingen so forsch in das EM-Team gelaufenen Jan Fitschen (dieser wird allerdings zusammen mit Arne Gabius die 5000 m vorziehen), Alexander Lubina und André Pollmächer vertreten. Ein Vakuum tut sich derzeit über die Hindernisse auf, weil die chancenreichen Filmon Ghirmai, Raphael Schäfer und Stephan Hohl verletzt sind und der aktuelle Titelträger Steffen Uliczka noch um einiges von der Normvorgabe entfernt läuft.

Mit der Nominierung von 80 Athleten haben die Verantwortlichen der Abteilung Leistungssport in der Darmstädter Leichtathletik-Zentrale Mut gezeigt. Es bleibt zu hoffen, dass die nominierten Athleten nun auch die in sie gesetzten Erwartungen rechtfertigen.
Was hilft es, wenn möglichst große Mannschaften von einer Sportgroßmacht, wie es Deutschland in Gänze nun einmal ist, gefordert werden, aber auf den Punkt nur wenige ihr Leistungspotential abrufen können.
Das nämlich entzieht jeglicher Diskussion die Grundlage.

 

Zum Artikel auf Germanroadraces.de  


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