Bessere Leistung durch Druck auf die Schenkel?
8 Oktober 2008Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe aus Großbritannien tut es, die Kölnerin Sabrina Mockenhaupt schwört darauf: Immer mehr Spitzen-Läuferinnen und -Läufer tragen im Wettkampf Kniestrümpfe mit besonderen Eigenschaften. Sie zwängen ihre Wadenmuskulatur in Kompressionsstrümpfe, die eigentlich für Menschen mit Thrombosen und anderen Venenproblemen entwickelt worden sind.
„Wenn ich in solchen Socken laufe, erhole ich mich schneller von den Belastungen, die ich meiner Wadenmuskulatur in Training und Wettkampf zumute“, sagt Paula Radcliffe, die den Grund für Muskelschmerzen nach harten Läufen genau kennt. Mikroskopisch kleine Einrisse in den Muskelfasern verursachen die Schmerzen, ist sie überzeugt. „Die damit verbundenen Mini-Blutungen tun weh“, erklärt die Britin, die seit fünf Jahren mit 2:15:25 Stunden den Marathon-Weltrekord hält.
Kompressionsstrümpfe wirken dem entgegen: „Einem Muskel, der während des Laufens stark schwingt, drohen stärkere Beschädigungen als einem, der von einem Strumpf gestützt wird.“ Mit Kompressionssocken sei Laufen weniger Stress für die Muskulatur sagt die 34-Jährige.
Nicht ohne meine Kompressionsstrümpfe
Auch Sabrina Mockenhaupt absolviert ohne Kompressionsstrümpfe keinen Wettkampf. „Gerade nach einem Langstreckenlauf hatte ich oft geschwollene und schmerzende Beine. Seitdem ich Kompressionsstrümpfe trage, ist das deutlich besser geworden. Sie ermöglichen zudem einen festeren und dadurch schnelleren Abdruck beim Laufen – überhaupt empfinde ich eine leistungssteigernde Wirkung. Deshalb trage ich sie im Training wie im Wettkampf.“
Dass Kompressionsstrümpfe die sportliche Leistungsfähigkeit erhöhen, haben mittlerweile auch verschieden Wissenschaftler bestätigt. Am Institut für Medizinische Physik an der Friedrich-Alexander-Universität fanden Forscher heraus, dass Hobbyläufer mit Kompressionssocken bei einer Leistungsdiagnostik auf dem Laufband nicht nur länger durchhielten, sondern auch ihre Geschwindigkeit an der aerob-anaeroben Schwelle um bis zu 0,25 Kilometer in der Stunde steigern konnten.
Die Geschwindigkeit, die Läufer an der aerob-anaeroben Schwelle erreichen ist ein wichtiges Indiz für die Ausdauerleistungsfähigkeit. Sie beschreibt, bei welchem Tempo Läufer gerade noch längere Zeit unterwegs sein können, ohne dass ihr Körper lähmende Stoffwechselendprodukte wie Laktat produziert. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass „die Frage nach einer Leistungsverbesserung definitiv bejaht werden kann“.
Dosierter Gegendruck für verbesserte Blutzirkulation
Die Strümpfe bieten der arbeitenden Muskulatur einen dosierten Gegendruck, der die Blutzirkulation in der Wade verbessert. Die Folge: eine optimierte Versorgung der Muskulatur mit Sauerstoff und eine schnellere Entsorgung des Laktats. Auch die Technische Universität in Dresden bestätigt eine Zunahme der Durchblutung durch die Kompressionssocken. Die Durchblutung in Ruhe wird um 30 Prozent gesteigert, unter Belastung sogar um 40 Prozent, fand das Dresdner Institut für Physiologie heraus.
Verursacht wird dieser Effekt durch den gleichmäßigen Druck, den die Strümpfe auf die Arterien in den Waden ausüben. Durch diese Adern fließt das sauerstoffreiche Blut vom Herzen zur Muskulatur. Wird auf die Arterien Druck ausgeübt, entspannt sich die Muskulatur in der Arterienwand und durch die entspannte Muskulatur erhöht sich der Durchmesser der Ader. Die Folge ist, dass das sauerstoffreiche Blut schneller und besser fließen kann.
Keine Allgemeingültigkeit
Aber nicht jeder Athlet ist von der Wirkung der Strümpfe überzeugt. Mittelstreckler Carsten Schlangen von der LG Nord Berlin verzichtet auf sie. „Ich denke das gehört eher in den Bereich des Psychischen“, meint der 27-Jährige, der sich durch die eng geschnittenen Socken eingeengt fühlt. Selbst hatte er schon einmal höher geschnittene Socken – allerdings keine richtigen Kompressionsstrümpfe – ausprobiert und sich nicht überzeugt dagegen entschieden.
„Die ganzen Kenianer laufen auch ohne die Strümpfe schnell“, sagt er und vertraut lieber auf hartes Training. Allerdings räumt der Olympiateilnehmer auch ein, dass sich die Wirkung der Socken vielleicht erst bei Läufen einstellt, die länger sind als die, die er absolviert. Eines steht auf jeden Fall fest: Ob Kompressionsstrümpfe helfen oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden – eine Allgemeingültigkeit gibt es nicht.