Auf der Suche nach Zukunft

Robert Harting - Auf der Suche nach Zukunft

Hat die Weltmeisterschaft von Berlin der Leichtathletik doch keinen Impuls gegeben? „Dies ist der Herbst unserer Sportart“, sagt jedenfalls der Berliner Läufer Carsten Schlangen. „Es bricht alles weg, was sie vorher aufrechterhalten hat.“ Der Ausrüster des deutschen Meisters über 1500 Meter hat den Vertrag aufgekündigt, und der Berliner Senat hat seine Förderung eingestellt. Auf Sporthilfe verzichtet der Architekturstudent, Geld vom Verein hat er noch nie bekommen. Er konnte sich dennoch quasi hauptberuflich auf die WM vorbereiten, weil er dem Top-Team des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) angehörte. Acht Monate lang bezog er, praktisch als Vertragsathlet, Gehalt von einem Großunternehmen.

Das ist nun vorbei. Bei den Olympischen Spielen von Peking 2008 war Schlangen ins Halbfinale gelaufen. Beim Istaf im Berliner Olympiastadion verbesserte er im Juni seine Bestzeit auf 3:34,60 Minuten, startete unter Schmerzen bei der WM und realisierte erst nach seinem Ausscheiden im Vorlauf, dass er einen Ermüdungsbruch im Schienbein erlitten hatte. Nun, vor der Europameisterschafts-Saison, steht der 28-Jährige vor der Frage, ob er als Hobbyathlet weitermachen kann oder seinen Ehrgeiz nicht besser auf den Einstieg in ein Architekturbüro verlegt.

Sponsoren verkauft oder pleite, Vereine aufgelöst

Schlangen ist kein Einzelfall. Stars der Szene wie Weitspringer Sebastian Bayer und Hürdensprinterin Carolyn Nytra denken wegen finanzieller Einschnitte laut darüber nach, ihren Klub in Bremen zu verlassen. Die Sprinter Tobias Unger und Christian Blum suchen Vereine, weil ihren Klubs in Fürth und Kornwestheim die Sponsoren abhandengekommen sind; Quelle durch Insolvenz, Salamander durch Verkauf.

Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf will sich verändern, weil der LC Paderborn ihrem Vater die Trainerstelle nicht mehr bezahlen kann. Und der Verein des Mittelstreckenläufers Wolfram Müller, Asics Pirna, hat sich ganz aufgelöst. Nicht wenige Sportler werden derzeit fragen: Kann ich mir überhaupt leisten, Leichtathlet zu bleiben?

Robert Harting, seit dem Rücktritt der Speerwerferin Steffi Nerius der einzige deutsche Weltmeister in der Leichtathletik, ist eine Ausnahme. „Bei mir sieht’s gut aus“, sagt er. Der Diskuswerfer ist Sportsoldat, und gerade hat er in seiner Heimatstadt Berlin ein Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation begonnen. Er könnte mit einigen neuen Sponsoren in die nächste Saison gehen. „Es gibt großes Interesse“, sagt er. Doch ob und was er unterschreibe, überlegt er sich noch: „Ich will nicht alles bedienen. Jedes Engagement kostet mich Zeit.“

„Tue Gutes und sprich nur leise darüber“ 

Harting ist eines der wenigen Beispiele, die Frank Lebert bestätigen, den Geschäftsführer der Deutschen Leichtathletik Promotion- und Projektgesellschaft (DLP), einer Tochter des DLV. Der ehemalige Nike-Manager sagt, seine Sportart profitiere enorm von der WM. Nicht nur durch den Erfolg mit neun Medaillen habe sich die deutsche Leichtathletik profiliert, sondern auch durch frische Typen.

„Selbstverständlich sehe ich auch, dass es Probleme gibt“, sagt Lebert. „Aber nach innen gibt es positive Resultate.“ Anfang des Jahres will der DLV bekanntmachen, wie viele Stellen für Vertragsathleten er im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2012 in London vermitteln kann. Dass die Förderung von zwanzig Leichtathleten, darunter Schlangen, vor der WM wie eine Geheimsache behandelt wurde, sei auf Wunsch der Förderer geschehen, sagt Lebert. Mehr und mehr ersetze bei Großunternehmen gesellschaftliches Engagement das klassische Sponsoring. „Die Devise heißt“, sagt Lebert, „Tue Gutes und sprich nur leise darüber.“

„Mehr bieten als eine Werbebande“

Dass nur deshalb so wenig zu hören ist von der Leichtathletik, will Gerhard Janetzky nicht glauben. „Wie ist die Nachhaltigkeit der WM?“, will der bisherige Veranstalter des Istaf wissen, der seit wenigen Wochen Präsident des Berliner Leichtathletik-Verbandes ist. „Unseren Vereinen hat die WM keine neuen Mitglieder gebracht. Nun müssen wir sehen, ob das Fernsehen und die WM-Sponsoren bei der Leichtathletik bleiben.“

Während Janetzky um den Erhalt des Istaf wirbt – das Fernsehen hat er bereits an Bord, Sponsoren für das Budget von zwei Millionen Euro sollen folgen –, reifen beim DLV die Pläne für einen jährlichen Länderkampf mit Russland, China und den Vereinigten Staaten. Er könnte in München stattfinden, um nicht dem Istaf in Berlin ins Gehege zu kommen. „Wir müssen zeigen, dass wir mehr zu bieten haben als eine Werbebande im Meisterschaftsstadion“, sagt Lebert. Man müsse darüber nachdenken, Vermarktungsrechte zu bündeln, wie das Biathleten und Skilangläufer tun, sagt er. Mit einer zentralen Vermarktung könnten Themen entwickelt und Athleten besser plaziert werden.

„Soziale Absicherung, das ist das Entscheidende“

Günter Eisinger widerspricht: „Ohne Vereine wird es nicht gehen“, sagt der Trainer der Hochspringerin Ariane Friedrich bei Eintracht Frankfurt. „Er ist die Basis, die Zelle. Der Verband ist nur für den großen Rahmen zuständig.“ Eisinger ist auch Manager von Ariane Friedrich. Im Moment ist er mit der Vermarktung der WM-Dritten befasst. „Es ist nicht so, dass jetzt alle Großunternehmen kämen“, sagt er. „Ich bin ganz überrascht, dass wir eher aus dem Mittelstand hören.“

Was er derzeit verhandele an Werbeverträgen, sagt Eisinger, sei eigentlich nicht mehr als ein Nebenverdienst. Schließlich mache seine Hochspringerin eine Ausbildung bei der hessischen Polizei. „Soziale Absicherung, das ist das Entscheidende“, sagt der Lehrer Eisinger. „Wenn der DLV Athleten finanziell absichern kann, sollte er das mit einer Ausbildung verbinden.“

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