1500m Läufer Carsten Schlangen eifert seinem Ideol El Guerrouj nach – auch was das Pech angeht.
Olympia übt eine große Faszination aus – manche sind so fasziniert, dass sie selbst dabei sein wollen. Wir haben Athleten des deutschen Teams gebeten, den Moment zu beschreiben, der sie zu Olympia geführt hat. Folge 3: 1500-Meter-Läufer Carsten Schlangen über den marokkanischen Helden Hicham El Guerrouj. Wenn ich Hicham El Guerrouj im Fernsehen laufen gesehen habe, war ich immer wahnsinnig fasziniert. Er war einfach so unglaublich schnell. In den neunziger Jahren war er über die 1500-Meter-Distanz extrem dominant. Auf der Bahn gab es damals eigentlich nur einen Läufer, der ähnlich beeindruckend war, allerdings auf der Langstrecke: Haile Gebrselassie.
Bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta war El Guerrouj der haushohe Favorit über 1500 Meter. Jeder rechnete mit der Goldmedaille für den Marokkaner. Dann begann das Rennen – und er stolperte. Am Ende ist er Letzter geworden. Ich saß vor dem Fernseher und dachte nur: Oh nein!
Das war ein Moment, der mich persönlich mehr bewegt hat als die großen Sternstunden. Weil ein Traum zerplatzt ist. Weil man persönlich so schockiert ist vom Schicksal.
Ich glaube, dass Olympische Spiele an sich für einen Jugendlichen noch größere Bedeutung haben als für Erwachsene, weil sie einen noch viel mehr prägen. Zwischen zehn und sechzehn Jahren, das ist das Alter, in dem ich extrem mit den Leuten mitgefiebert habe. Später im Leben verfolgt man auch andere Ziele wie etwa das Studium oder den Beruf. Aber als Jugendlicher lebt man den Sport mit. Da entscheidet es sich, ob man ein Olympia-Junkie wird oder nicht.
So war es auch damals bei mir. Ich hatte meine Vorbilder wie Hicham El Guerrouj. Es ging dabei gar nicht einmal darum, so erfolgreich zu laufen wie er. Als Kind oder Jugendlicher weiß man noch nicht, was für ein Talent in einem steckt. Es war damals einfach schmerzhaft für mich, mit anzusehen, wie der große Favorit aus dem Rennen um Gold ausscheidet.
Laufen an sich hat mir damals viel Spaß gemacht, und ich wollte auch längere Strecken laufen. Aber mein damaliger Trainer sagte mir: „Warte ab, du brauchst noch Grundschnelligkeit.“ Mit dem Leistungssport habe ich eigentlich erst 2005 richtig angefangen, und es ist jetzt ein großartiges Ereignis für mich, selbst zu den Olympischen Spielen zu fahren.
Inzwischen habe ich auch noch einen anderen Bezug bekommen zu tragischen Erlebnissen wie dem, das Hicham El Guerrouj passiert ist. Ich kann aus der Perspektive des Athleten mitfühlen. In diesem Jahr wollte ich zum dritten Mal in Folge Deutscher Meister über 1500 Meter werden. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Es wäre eine schöne Serie gewesen, die mir etwas bedeutet hätte. Doch dann habe ich mir am Abend vor dem Finale den Magen verdorben. Ich habe die ganze Nacht Durchfall gehabt und gebrochen. An Laufen war nicht mehr zu denken, schon Gehen war anstrengend. So saß ich am Sonntag beim Finale geschwächt auf der Tribüne des Nürnberger Stadions und habe den Lauf auf Video aufgezeichnet.
Es war ein merkwürdiger Moment, denn in einer Nacht hatte sich die Perspektive völlig verschoben – plötzlich durfte ich nur noch Zuschauer sein.
Hichams Drama hat zum Glück ein Ende gefunden. Vier Jahre später in Sydney hat er Silber gewonnen. Und 2004 in Athen, da hat er seinen Olympiasieg gleich doppelt nachgeholt – mit Gold über 1500 und 5000 Meter.