Mit dem Niveau der deutschen Leichtathletik geht es abwärts, darüber täuscht nicht hinweg, dass der Verband die stattlich erscheinende Zahl von 80 Athleten nominiert hat für die EM in Göteborg. 2002 beim Heimspiel in München waren es noch 95 gewesen, vor acht Jahren in Budapest sogar 111. Und selbst die 80 DLV-Vertreter der Saison 2006 gaukeln eine Stärke vor, die nicht durch Leistungen gedeckt ist: Wenig mehr als die Hälfte hat die mittels Normen festgelegte EM-Tauglichkeit tatsächlich bestätigt.
Es ist der Eindruck entstanden, dass die DLV-Funktionäre bei der Nominierung ihre Richtlinien gebogen haben bis zum Brechen, um den Schein eines starken Teams zu erwecken – und sei es nur ein zahlenmäßig starkes. Nun gibt es sicher in einigen Fällen fachliche Gründe, sich über die lange im voraus genormten reinen Zahlen hinwegzusetzen: Einem Leistungsbild auf europäischer Ebene, das sich anders darstellt als eingeschätzt, muss man Anforderungen und Erwartungen anpassen; Staffelmitglieder muss man im Einzelrennen einsetzen können, ohne dafür die Normerfüllung zu verlangen; Talente müssen natürlich die Chance bekommen, international Wettkampfpraxis zu sammeln. Wenn man die ihnen nicht bei einer EM gibt, wo und wann dann?
Trotzdem: Der DLV hat so viele Ausnahmen bei der Nominierung gemacht, dass es fast keine Regeln mehr gibt, zumindest keine, die sich interessierten Laien schlüssig erklären lassen. Im EM-Aufgebot stehen zu viele Athleten, die die ursprünglich zweimal zu erfüllende Norm nur einmal geschafft haben – oder gleich gar nicht. Bundestrainer Mallow hat zwar eigens auf die Möglichkeit hingewiesen, „die Richtlinien in jeder Hinsicht außer Kraft zu setzen". Nur: Wozu hat man sie dann überhaupt festgelegt? Und wenn man so sehr auf Talente setzt: Hätte man nicht von vornherein Ausnahmen für sie einarbeiten können wie 2002?
Auch für die Weltmeisterschaften 1995 in Göteborg (!) hatte der DLV großzügig und teilweise schwer nachvollziehbar nominiert, ohne Erfolg. Die WM geriet zu einem Tiefpunkt, danach installierte der DLV eindeutige und strenge Regeln für die Nominierung, vor allem um Transparenz zu schaffen. Diese Regeln wurden im Lauf der Jahre derart verwässert und aufgeweicht, das der geneigte Beobachter den Durchblick verloren hat. Auch so schreckt man sein Publikum ab.