Was machen Sie am 13. Dezember? Und wieso sind Sie am 29. Dezember nicht wie gewohnt auf ihrem Arbeitsplatz?
Stellen Sie sich vor, sie werden diese Fragen von ihrem Chef gefragt. Sollten Sie in diesem Fall vor ein Arbeitsgericht ziehen, weil ihre Privatsphäre droht, dem Ende entgegenzugehen? Oder sollten Sie kooperativ sein? In jedem Fall sollten Sie vorher genau ihre Antwort kennen und deren Konsequenz.
Nehmen wir also an, Sie sind kooperativ und geben ihrem Chef an, dass Sie am 13. Dezember ordnungsgemäß von halb acht in der Frühe bis um vier am Nachmittag im Büro sind. Der Chef protokolliert dies in seinem Kalender und möchte aber nun noch mehr von ihnen wissen. Wo gehen Sie am 13. Dezember nach der Arbeit hin? Auch die Anschrift und Telefonnummer ihrer Mutter, zu der Sie an diesem Nachmittag gehen wollen, wird protokolliert. Sie sind also ein sehr geordneter Mensch, der genau drei Monate im Voraus plant, wann er seiner Mutter, die in der gleichen Stadt wohnt, einen Besuch abstattet. Sie sind gläsern und haben auch kein Problem damit.
Sie hätten zumindest schon einmal eine der vielen Kriterien erfüllt, die einen modernen Leistungssportler ausmachen – Gratulation!
Aber was, wenn es alles ganz anders kommt? Sie sich um einen Tag geirrt haben, oder Ihre Freundin Sie und Ihre Mutter am frühen Nachmittag des 13. Dezember in ein Café in der Stadt einlädt. Jedenfalls entschließen Sie sich, an diesem 13. Dezember gegen alle Vorplanungen und essen gemeinsam mit ihrere Freundin und ihrer Mutter genüsslich Kuchen. Sie merken gar nicht, dass Sie das Diensthandy lange Zeit nicht mehr aufgeladen hatten und Sie in diesen schönen Stunden gar nicht zu erreichen sind – von ihrem Chef.
Der hat versucht, Sie auf ihrem Diensthandy anzurufen, vergeblich, auch bei ihrer Mutter Zuhause, vergeblich. Er entschließt sich letztendlich wutentbrannt für eine Verwarnung. Die Regel der großen Firma, in der Sie arbeiten sieht vor, dass Sie maximal drei Verwarnungen erhalten dürfen, dann sind sie weg vom Fenster, dann dürfen Sie nur noch Briefe im Keller aufdampfen…aber weil in der letzten Zeit sehr vielen Kollegen Arbeitsverweigerung unterstellt wird, kommt diese Abmahnung dem Makel: "Fauler Sack" gleich. Überhaupt will ihr Chef mit den ganzen Drückebergern nun endlich aufräumen.
Jedenfalls sieht man in der Folgezeit mit Missachtung auf Sie herab, weil…ja weil Sie es nicht auf die Reihe bekommen haben, sich für diesen einen Tag, an dem Sie haarfein angegeben hatten, dass sie im Büro erreichbar seien, sich nicht abgemeldet hatten und ihr Chef genau in diesem kurzen Zeitfenster ihre Dienste so dringend gebraucht hat.
Und jetzt sagen Sie mir, ich sei verrückt! Ich verkenne die Realität über all die Utopien, die ich gelesen habe. Ich aber spreche nicht von der Welt von 1984 oder der Brave New World eines Aldous Huxley, nein ich spreche von der Situation im Jahr 2007. Und aus der Situation eines Leichtathleten.
Die neue "Whereabouts-Regelung" der IAAF sieht vor, dass der Athlet in einem akribischen Formular ernsthaft einen Dreimonatsplan aufstellen soll, in dem er taggenau seine Trainingszeiten und Abwesenheiten von seinem Wohnort angibt. Die Effektivität einer solchen Maßnahme erscheint mir äußerst zweifelhaft, zumal ein Athlet mit A- oder B-Kaderstatus in einem Onlinesystem der NADA ohnehin angeben muss, wo er sich gerade aufhält. Das System funktioniert beinahe in Echtzeit und lebt, wie viele Web 2.0 Projekte, natürlich von der Exaktheit seiner Nutzer, also seiner Athleten.
Ich frage mich also, wieso ich um alles in der Welt eine zusätzliche exakte Angabe im Dreimonatsrythmus in Papierform machen soll, wenn doch die Onlineeingabe um ein vielfaches genauer und aktueller ist. Hier wird, wie so oft, leichtfertig ein großes Stück persönlicher Freiheit bereitwillig geopfert um vielleicht ein kleines, sehr kleines Bisschen mehr Sicherheit in ein System zu bekommen, das ohnehin nicht fehlerfrei funktionieren kann.
Ich gehe mit meinen Überlegungen nun ein kleines Stück weiter:
Nehmen wir also an, dass ich am 8. November 2007 einen Vortrag in meiner alten Schule am Gymnasium Marianum in Meppen halte. Der Termin steht seit zwei Wochen fest, aber ich weiß eigentlich immer noch nicht ganz genau, ob ich nur diesen einen Tag bleibe, um den Vortrag zu halten und dann am Wochenende bei den Berliner Meisterschaften teilnehme, oder ob ich die Atmosphäre zu Hause bei meinen Eltern noch ein Stück länger genießen möchte und mich entschließe, noch einen Tag länger zu bleiben. Selbst wenn ich meine Aufenthaltszeit genau wüsste, und diese bereits Ende August in den "Whereabouts" exakt angegeben hätte, dann bleibt immer noch ein Restrisiko, sowohl für die Exaktheit der "Whereabouts" wie auch für mich als Athlet.
Es kommt nämlich am 4.November 2007 zu einem verheerenden Wasserrohrbruch in der Aula des Gymnasiums. Ich werde angerufen, dass die Veranstaltung leider nicht stattfinden kann und trage sogleich meine Abwesenheit im Onlinesystem aus – wenige Tage später lese ich dann auf leichtathletik.de oder besser noch beim Frühstück in einer überregionalen Zeitung, dass ich eine öffentliche Verwarnung bekommen habe, einen sogenannten "Missed Test". Ich hatte vergessen, dass ich bereits Ende August in den "Whereabouts" angegeben hatte, dass ich eigentlich in Meppen sein sollte, zu eben diesem Vortrag.
Ein übereifriger Dopingkontrolleur in Meppen hat seine Erfolgsmeldung, ich den Schaden – denn in der Öffentlichkeit wird kaum jemand unterscheiden können, was der Unterschied zwischen einem "Missed Test" und einem "Positive Test" ist. Oder warum es notwendig ist, gleich eine Verwarnung auf der offiziellen Internetseite des DLV als Meldung anzuzeigen, wie es jetzt bei der Siebenkämpferin Jennifer Oeser der Fall war.
Nach all den zurecht hochgekochen Emotionen zum Thema Doping in diesem Jahr blieben leider zwei entscheidende Kriterien auf der Strecke: die Unschuldsvermutung gegenüber dem Athleten und die Besonnenheit in der Wahl der Mittel im Kampf gegen Doping. Aber die Öffentlichkeit hat sich entschieden, sie möchte von ihren Sportlern mehr abverlangen, als sie je bereit wäre, für jeden Job der Welt zu tun.