Der Dreispringer Charles Friedek tut in diesen Tagen vieles zum letzten Mal. Zum Beispiel an deutschen Meisterschaften teilnehmen, weshalb die Titelkämpfe in Ulm an diesem Wochenende für ihn nicht nur ein heiterer Anlass sind vor seinem Rücktritt, den er für Ende dieses Sommers angekündigt hat. Charles Friedek, 37, ist ein leidenschaftlicher Dreispringer. Wenn er das nicht wäre, hätte er es nicht so lange ausgehalten in seinem Sport, in dem er vom größten Erfolg bis zur schmerzhaften Niederlage alles erlebt hat. Vor zehn Jahren war er in Sevilla Weltmeister, das ist verdammt lang her, aber wenn er jetzt zurückschaut, ist doch etwas gleich geblieben: Als bester deutscher Dreispringer ist er immer noch unumstritten, was einerseits schön ist für ihn, andererseits befremdlich. Friedek hat keinen gleichwertigen Nachfolger, und er sagt: „Ich mache mir schon oft Gedanken darüber.”
Drei Weltjahresbeste
Die deutsche Leichtathletik befindet sich in einer Phase des Aufbruchs, zumindest will der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) das so sehen im Jahr eins nach der olympischen Ein-Medaillen-Bi-lanz von Peking und sechs Wochen vor der WM in Berlin. Schon die Bilanz der Hallen-EM in Turin Anfang März stimmte, vor zwei Wochen kam der Sieg bei der Team-EM in Leiria dazu. Und in einigen Disziplinen haben sich Fortschritte aufgetan, die Sportdirektor Jürgen Mallow im Sportinformationsdienst als „eine über Jahre vorbereitete und jetzt sichtbare Entwicklung” feiern kann. Die Leistungsdichte ist gestiegen. In Stefan Eberhardt und Carsten Schlangen haben zum Beispiel schon zwei 1500-Meter-Läufer die WM-Qualifikationsnorm unterboten – noch vor zwei Jahren schaffte das keiner. Und in der Speerwerferin Christina Obergföll, der Hochspringerin Ariane Friedrich sowie der Marathon-Läuferin Irina Mikitenko stellt der DLV gleich drei Weltjahresbeste.
Probleme gibt es trotzdem genug, das kann auch gar nicht anders sein in einem Sport mit 47 Disziplinen, der sich jahrelang im Abwärtstrend befand. Der DLV hat die WM-Kriterien 2009 so gestaltet, dass möglichst wenig Stress bei der Nor-menjadt aufkommt. Auch nach den deutschen
schen Meisterschaften bleiben Chancen, verpasste Standards nachzureichen, und das dürfte auch nötig sein, wenn aus der fast 70-köpfigen Riege der bereits Qualifizierten ein WM-Team mit 90 bis 100 Mitgliedern werden soll. Selbst bewährte Stützen haben Mühe: Die gesetzte Titelverteidigerin Franka Dietzsch etwa hat ihren Diskus noch so wenig auf Weite gebracht, dass sie sich zuletzt ganz aufs Trainieren verlegte. Und dann sind da eben die Disziplinen, in denen der DLV in Berlin sogar blank sein könnte: der Dreisprung oder die 400 Meter Hürden.
Das ist kein Zufall. Dreisprung und 400 Meter Hürden sind die komplizierten Varianten von Weitsprung und Langsprint, Exoten im Disziplinen-Spektrum. Sie kommen in der Schul-Leicht-athletik praktisch nicht vor, selbst in den Vereinen sieht Friedek „Berührungsängste”. Um ein guter Dreispringer zu werden, bedarf es langer Vorbereitung. Drei Absprünge zu einer harmonischen Schrittfolge zu verbinden, ist schwierig, und die Belastungen dabei sind enorm. „Bei jedem Teilsprung wirkt das Siebenfache des Körpergewichts”, sagt Friedek, „wenn man darauf nicht vorbereitet ist, wird man auseinanderbrechen.” Echte Dreisprung-Gelehrte brauchte es demnach, die Talente um sich scharen und sie geduldig aufbauen. Wie Eckhard Hütt, der einst den Weltklasse-Springer Ralf Jaros zum deutschen Rekord von 17,66 Meter coachte und bei dem auch Friedek einst lernte. Hütt ist nach einem Gastspiel in Spanien seit 2008 wieder Nachwuchstrainer im DLV. Aber es hat sich viel Wissen verflüchtigt. Herbert Czin-gon, Bundestrainer für die technischen Disziplinen, sagt: „Da müssen wir eine Graswurzel-Aktion machen.”
Es fehlen Trainer und Athleten
Früher mal Siegertypen gehabt zu haben, reicht jedenfalls nicht, sonst müsste auch der 400-Meter-Hürdenlauf im DLV in ewiger Blüte stehen. Disziplintrainer Volker Beck war 1980 Olympiasieger für die DDR, Harald Schmid 1984 Olympia-Dritter und in den achtziger Jahren einer der prominentesten DLV-Sportler. Aber jetzt? Der deutsche Jahresschnellste ist immer noch Thomas Goller, 31, Christian Duma, 2005 WM-Halbfinalist, konnte selbst in seinem zweiten Seuchenjahr 2008 ohne viel Training mit der nationalen Spitze mithalten. Beck sagt: „Es fehlt an Trainern, die sich mit der Disziplin beschäftigen. Es fehlt an leistungsstarken Athleten.” Die deutsche Elite über die 400-Meter-Flachstrecke ist nach internationalen Standards mittelmäßig, schon als passabler Langsprinter kann man deshalb im DLV eine schöne Staffel-Karriere machen – da wechselt kaum einer zum technisch anspruchsvollen Hürdenlauf.
Schnelle Abhilfe gibt es nicht. Die deutschen Meisterschaften werden eher wieder davon zeugen, wie die vielfältige Vereinslandschaft auch Lücken lässt. „Da wurde nicht an den richtigen Schrauben gedreht”, sagt Charles Friedek. Er würde sogar mithelfen beim Neuaufbau. Aber er hat keine Anfrage. Ab Herbst wird er für eine IT-Firma arbeiten. Vorher lebt er noch mal seine Sonderstellung im Dreisprung aus. Wenn alles normal läuft, wird in Ulm keiner den alten Friedek vom Thron stoßen.