„Ich habe alles erreicht, was ich wollte"

Olympia-Halbfinale: Im Konzert der ganz Großen fehlte Schlangen die „zweite Kraft"

Verloren und doch gewonnen. Mit einer kämpferisch tadellosen Einstellung, mit seiner lockeren Art, mit einer auch auf die Fernsehzuschauer sehr sympathischen Wirkung und einer positiven sportlichen Grundhaltung hat der Emsländer Carsten Schlangen gestern im Halbfinale des olympischen 1500-Meter-Laufes in Peking Werbung im besten Sinne gemacht. Viele der Millionen an den Bildschirmen, mit der Mittelstrecke sicher nicht ständig konfrontiert, lobten den gebürtigen Teglinger Sportler ob dieser Einstellung. Das Ausscheiden wurde zum Gewinn.

Meppener Tagespost - Ich habe alles erreicht, was ich wollte - Foto:DPA

Sehr locker ging Carsten Schlangen den ersten Halbfinallauf an. Gegen Konkurrenten wie Asbel Kipruto Kiprop aus Kenia, Juan Van Deventer, den Marokkaner Abdalaati Iguider oder den US-Amerikaner Lopez Lomong ist einer wie Schlangen eigentlich chancenlos, es sei denn, alle olympischen Götter hätten sich gegen die starken Gegner verschworen. Damit rechnete natürlich auch Schlangen nicht. So unterhielt er sich angeregt kurz vor dem Startschuss mit dem Italiener Christian Obrist. Ob eine gemeinsame europäische Taktik gegen die Übermacht aus Afrika und Amerika das Thema war? „Nee", meinte Schlangen, „wir haben gemeinsam Atmosphäre geschnuppert, waren beide begeistert von den Rängen mit den 90000 Zuschauern."

Der Schlangen-Lauf verlief überhaupt nicht nach dem Geschmack des in Berlin studierenden Sportlers. Es wurde gebummelt und „erst die letzten 450 Meter ging es mächtig ab." In der Mitte war Schlangen zwar eingeklemmt, doch er befreite sich geschickt mit einem Zwischensprint.

Doch dann ging es zum langen Spurt. „Da fehlte mir dann die zweite Kraft für die letzten 80 Meter." Schlangen ärgerte sich nicht über den achten Platz, hätte allerdings gerne noch den Europäer Obrist hinter sich gelassen.

Auch das zweite Halbfinale war nicht von Pappe. Ein halbes Dutzend Weltklasse-Mittelstreckenläufer kämpfte ums Weiterkommen. Ausgerechnet Bernard Lagat, der US-Amerikaner, der im Som-mer in Tübingen lebt, schied
aus. „Ich habe mich vorher noch mit ihm unterhalten, er fühlte sich nicht wohl", erzählte Schlangen vom Leiden des mit ihm ausgeschiedenen Sportlers, der sein Favorit für Dienstag gewesen war.

Das Finale will sich Schlangen auf jeden Fall noch ansehen, den Diskuswurf von Harting natürlich auch. Dann will er die Chinesische Mauer auch aus architektonischer Sicht in Augenschein nehmen. Und bis zum Rückflug am 25. August bleibt ein breites Programm bei anderen Disziplinen.

Nach einem Start im Spätsommer in Paris will sich Schlangen Ruhe gönnen. Im nächsten Jahr gibt es sowohl einen beruflichen als auch einen sportlichen Termin in Berlin: das Ende des Studiums und die Leichtathletik-WM. „Ein toller Termin, direkt vor der Haustür." Auch die Olympiade 2012 in London ist viel näher als Peking. „Ja", meinte Schlangen, „aber so weit denke ich noch nicht."

Zunächst einmal sah er dankbar auf seine zwei Starts in Peking zurück. Zahlreiche Glückwünsche aus der Heimat – zuerst von seinem Bruder Dirk aus Berlin und dann auch von seinem Sponsor Heinz Hölscher – bestätigten, dass viele mitgefiebert hatten. Sie hatten einen Sportler erlebt, der in der Niederlage Größe bewies. Carsten Schlangen gehört unter den gebeutelten deutschen Leichtathleten auch ohne Teilnahme am Finale zu den Siegern. „Ich kann heute besser schlafen als nach dem Vorlauf", meinte er. „Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte", ist er mit sich und der olympischen Welt zufrieden.

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