Biometrie ad absurdum

Anlässlich der in diesem Jahr anstehenden Auslandsaufenthalte außerhalb Europas stand für mich heute ein besonderer Punkt auf der Tagesordnung: Die Beantragung eines neuen Reisepasses. Es sollte sich zeigen, daß die Bürokratie mit dem neuen biometrischen Reisepass eine neue Form gefunden hat, sich selbst noch mehr Ausdruck zu verleihen und sich selbst noch ein wenig ernster zu nehmen, als der unbescholtene Bürger je annehmen kann. Ich sollte letztendlich aber auch Wohlwollen und Verständnis erfahren.

Internetrecherche 

Am Morgen machte mich schnell im Internet auf die Suche, um meine Fragen zum Reisepassantrag zu beantworten:

  • Wo kann ich einen solchen Reisepass beantragen? – bei jedem Bürgeramt
  • Was kostet ein Reisepass? – 59€
  • Wieviele Passbilder werden benötigt – Wie sieht ein solches Passbild aus – Welche Fotografen können ein solches Passbild erstellen? 

Schnell landete ich auf meinem Streifzug durch die virtuelle Informationswelt auf einer Unterseite der Bundesdruckerei selbst und war zunächst erstaunt. Richtig locker gab man sich da auf den ersten Blick. Ich fand auch Antworten auf Fragen, die ich gar nicht mehr zu stellen gewagt hatte, wie etwa: Kann man digital ausgedruckte Passfotos für den Personalausweis/Reisepass verwenden?

Nachdem ich vor einigen Jahren bei der Beantragung meines Personalausweises ein selbst ausgedrucktes Foto einreichen wollte und dabei kläglich scheiterte, hatte ich mir vorgenommen nie wieder selbst ein solches Bild zu erstellen. Komme es, was da wolle. Seiner Zeit war ich am Ende einer unendlichen Odyssee doch reumütig eingeknickt und hatte einen Fotografen beauftragt ein Bild von mir zu erstellen – zu horrenden Preisen und noch viel schlechteren aber amtstauglichen Aufnahmen.

Aber jetzt hieß es auf der Webseite der Bundesdruckerei so locker: 

"Ja, wenn das Passfoto der Fotomustertafel entspricht und das Material des Lichtbildes die Eigenschaften eines konventionellen Fotopapiers aufweist. [...] Die Beurteilung der Ausweis- bzw. Passfotos hinsichtlich der Verarbeitbarkeit obliegt laut Passgesetz ausschließlich der zuständigen Personalausweis- bzw. Passbehörde."

Heimbasteln

Und da kam sie doch wieder, die große Sparsamkeit! Gutes Druckerpapier habe ich als Architekturstudent immer vorrätig und die nötige Digitalkamera ohnehin. Jetzt brauchte ich nur noch einen grauen, also neutralen Hintergrund, den ich mit einer angeschnittenen Graupappe auch schnell im Haushalt fand und los gings. "Da sollten Sie mal sehen wo sie bleiben, die überteuerten Fotografen, die sowieso mit dem Amt unter einer Decke stecken!" dachte ich mir selbst zur Motivation für die doch etwas eintönige Arbeit.

Die Onlineanleitung war sehr detailreich. Es sollte also eine Frontalaufnahme sein. Lächeln ist neuerdings nicht mehr erwünscht; der Mund soll geschlossen sein und die Lippen aufeinanderliegen. Schon mal gar nicht so einfach, wenn man als Sportler auf Fotos bislang immer zum Lachen animiert wurde. Der Blick sollte direkt in die Kameralinse gerichtet sein. 

Nach etwa zehn Minuten hatte ich in meinem Bildbearbeitungsprogramm eine ordentliche Aufnahme, die ich von den Farbwerten anpasste, so dass sie den Vorgaben entsprach. Ich erstellte sogar eine neue Ebene aus der Onlinevorlage und überprüfte interaktiv, ob das auf der Ebene darunter liegende Passfoto dem Schema entsprach. Ich war richtig stolz auf mich, wie schnell ich das hinbekommen hatte. Das Architekturstudium war also schon vor dem Diplom in vielen Lebenslagen hilfreich. Auch das Ausdrucken auf gutem Fotopapier gelang nach den üblichen Tintenstrahldruckerquerelen.

Die Produkte meiner Heimproduktion schnitt ich sorgfältig aus und verpackte sie. Mit dem Fahrrad gings nun zum Bürgeramt. 

Auf dem Bürgeramt

Gleich am Eingang fragte ich an der Information nach, ob das vorliegende Passbild für den Antrag in Ordnung sei. Der freundliche Mann an der Rezeption legte schnell eine Folie über das Bild und sagte mir, dass ich mit dem Foto mit Sicherheit kein Problem bekommen würde. Ich könne also getrost eine Nummer ziehen und mich anstellen. Die kurze Wartezeit überbrückte ich mit einer kleinen Übersetzung für einen hilflosen englischsprachigen Mann, der sich die nötigen Informationen beschaffen wollte, wie man sich in Berlin wohnhaft meldet.

Schließlich wurde ich aufgerufen und ich konnte eintreten in die gute Amtsstube. Auch hier gab man sich ausgesprochen freundlich. Ich füllte die nötigen Angaben aus, reichte das Passfoto ein und gab meine Unterschift. Das Passfoto wurde auf einen Bogen aufgeklebt und eingescannt. Über das erstellte Formular und das Foto machte sich sodann eine Auswertungssoftware her, die klar den Mangel am Foto darlegte. Die Augen auf dem Passfoto sind nicht auf einer horizontalen Linie, meldete das Programm. Es folgte eine unendlich lange Prozedur, in der die nette Mitarbeiterin des Amtes diverse Male das Foto neu auf den Bogen klebte und einscannte. Nein, die Software sollte sich nicht irren, die Augen waren auch nach dem etwa zehnten Versuch noch aus der Horizontalen. 

Ich erinnerte mich an den online vermerkten Satz, dass die Zulassung des Fotos immer im Ermessen der Beamtin solle und fragte nach. "Können Sie nicht einfach diesen Button dort klicken?" Nach einigen weiteren Versuchen gab die so geduldige Mitarbeiterin auf und klickte auf den Eintrag: "Foto trotzdem verwenden". Das weitere Procedere mit Fingerabdruckscan überlasse ich den Darstellungen der Datenschützer.

Auswertung Daheim 

Am heimischen Computer wollte ich der Sache doch noch einmal auf den Grund gehen und kontrollierte noch einmal das Bild. Es sollte sich herausstellen, dass die Verbindungslinie der Pupillenmitten von der Horizontalen um 0,14 Grad abwich. Das konnte doch wohl nicht ernst gemeint sein – wehe dem Bürger mit schiefem Blick! Auch eine leichte Hüftschiefstellung konnte bereits das Ende der Kommunikation mit der Biometriesoftware sein.

Zum Schluß möchte ich noch kurz darstellen, um welche gravierende Abweichung es hier geht. Nehmen wir also an, dass der Scanner in der Behörde nominell mit einer Auflösung von 600dpi arbeitet. Wir nehmen außerdem an, dass es zwischen dem Ausdruck und dem Computerbild keine Veränderung in der Auflösung gegeben hat (ursprünglich 2400dpi). Bei einer also im Zielcomputer ankommenden Auflösung von 600dpi und einer Abweichung von 0,14 Grad auf den Augenabstand (Passbildgröße 1,03cm)  

Mich würde am Ende doch mal interessieren, wie viele Anträge bei der Passbearbeitung letzten Endes mit dem Vermerk "Foto trotzdem verwenden" in die Bundesdruckerei geschickt werden. 


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