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Aalto und Nurmi

1 Juni 2014

Der Leichtathlet Carsten Schlangen zeigt, wie Leistungssport und Architektur zusammengehen

DAB - Aalto und Nurmi

Gelaufen war Carsten Schlangen schon als Schulkind im Emsland, aber nie mit ernsten Absichten. Stattdessen studierte er mit Leidenschaft Architektur – erst in Berlin, dann in Helsinki. Dort aber entdeckte er plötzlich sein großes Talent, schnell zu rennen, und dachte sich: „Ich kann meine Brötchen auch mal anders verdienen. „Mittelstrecke statt Planungswettbewerb, die Lauf-Legende Paavo Nurmi statt der Bau-Legende Alvar Aalto – vom Entwurfssaal ging Schlangen auf die Tartanbahn. Seitdem war er zehnmal deutscher Meister, einmal Vize-Europameister und zweimal im Olympia-Halbfinale. Derzeit bewältigt er Läufe und Bau-Abläufe parallel.

Wer vom Sport leben will, braucht oft mehrere Erwerbsquellen, sagt Schlangen: „Ausrüsterverträge, Werbesponsoring, bezahlte Event-Auftritte, Beiträge für Laufzeitschriften.“ Neben allem schaffte er sein Architekturdiplom und hatte danach seinen ersten Iob im Berliner Büro Granz+Zecher. Kein Zufall: Die Tochter des Inhabers Carsten W.Granz, Caterina, läuft wie er für den Verein LG Nord Berlin. „Da war zwischen Herrn Granz und mir eine Grundsympathie gegeben“, so Schlangen. Granz+Zecher hat einen Schwerpunkt in der Ausführungsplanung. „Da gab es ziemlich normale Bürozeiten; das habe ich präferiert.“ Nebenbei erlief er Meisterschaften; 2012 schaffte er die Qualifikation zu den Olympischen Spielen in London.

Schon vier Jahre zuvor war er Olympiateilnehmer in Peking gewesen – für ihn nicht nur ein sportliches, sondern auch ein architektonisches Großereignis: „Ich habe kein anderes Stadion mit einer so guten Funktionalität und Ästhetik erlebt“, sagt er über den Bau von Herzog & de Meuron und dem Künstler Ai Weiwei. „Die Stahlkonstruktion ist extrem aufwendig, aber von allen Plätzen in den beiden Zuschauerringen hat man eine grandiose Sicht auf die Wettbewerbe, selbst von den abgelegenen Plätzen. Und für uns Sportler war es funktional perfekt ich hatte noch nirgendwo einen so kurzen Weg vom Einlaufplatz zur Startlinie.“ Die Entwicklung in heimischen Stadien bekümmert ihn eher. Aus den Fußball-Arenen ist die Leichtathletik verdrängt; viele Städte haben keine größere Wettkampfstätte mehr. Leichtathleten müssen ebenso um die Aufmerksamkeit des breiten Publikums kämpfen wie Architekten. Momentan hat er einen Job bei der Ingenieur- und Anwaltsfirma Procon, die sich auf Vertrags-, Claim- und Risikomanagement am Bau spezialisiert hat (nicht zu verwechseln mit dem insolventen Windkraft-Investor Prokon). Hier kann Schlangen vom heimischen Computer aus in recht frei einteilbarer Arbeitszeit Bauprojekte beobachten und beurteilen, die sein Arbeitgeber begleitet. Auch in diesen Job half ihm der Sport: „Es ist natürlich ein gewisses Plus, dass ich glaubhaft vermitteln kann, dass ich mich anstrenge und meine Ziele erreiche.”

Weitere Parallelen zwischen Planern und Läufern? Carsten Schlangen nennt eine, die eher überrascht:
Laufen wirke individualistisch, sei aber ebenso Teamarbeit wie die schein-individuelle Architektur. „Wenn am Ende ein Einzelner vorn steht, verdankt er das immer anderen, die ihn unterstützt haben. Sei es der Trainer, sei es die Trainingsgruppe.“ Noch eine Ähnlichkeit: Wie Architekten sind auch Leichtathleten nicht ganz dem Kommerz anheimgefallen und müssen sich mit Werbung zurückhalten: „Es ist nur ein ganz kleines Logo neben der Startnummer erlaubt.“ Schlangen schätzt das: „Da ist eine gewisse Antiquiertheit, und die hat durchaus ihren Reiz. Weder in der Architektur noch in diesem Sport kann man das ganz große Geschäft machen.“ An vielen werdenden und gewordenen Architekten schätzt er die Offenheit im Leben. „Sie sind nicht so festgefahren. In diesem Milieu lässt man viel eher mal andere Lebensentwürfe zu, bei sich selbst und anderen. Und Leistungssport ist eine extreme Form dieses „Ich mach mal was anderes.“

Eine Sportkarriere sei keineswegs ein Garant für eine Berufskarriere. „Nicht alle haben dafür den nötigen langen Atem. Leistung auf der Bahn garantiert allein noch keine Leistung im Büro.“ Doch könnten Sportler Dinge üben, die überall verwendbar sind: „Auch hier besteht ein Großteil aus Kommunikation und Organisation. Wenn man das, wie ich, nicht einem Agenten überlassen
will, braucht es eine gehörige Portion Selbstmanagement.“ Obwohl er noch nicht Kammermitglied und Architekt ist, hat Schlangen jetzt die Chance auf einen eigenen Stadion-Entwurf: Sein eigener Verein will in Berlin-Tegel bauen. Ob er weiter in diese Richtung läuft, „als Architekt für Sportstätten? Muss nicht sein – kann aber passieren.“

Trainingslager Lanzarote

11 Februar 2014

Impressionen aus dem semispezifischen Trainingslager auf Lanzarote mit dem Schweizer Nationalteam Triathlon.

Eilen, nicht hetzen

30 August 2012

Der schnellste deutsche Mittelstreckenläufer Carsten Schlangen will beim Istaf keine Normen mehr jagen.

Das Istaf wird eine lockere Angelegenheit, Carsten Schlangen freut sich schon. „Es wird ein schnelles Rennen“, sagt er. Die Atmosphäre im Olympiastadion ist auch gut, außerdem startet Schlangen für die LG Nord Berlin. Das größte deutsche Leichtathletik-Meeting (Sonntag, 12 Uhr) ist quasi ein Heimspiel für ihn. Außerdem hat er ja keinen Druck. Die Olympischen Spiele, Highlight der Saison, sind vorbei, niemand fragt nach seiner Zeit. Ein schöner Ausklang der Saison. Ein paar Tage später wird der Architekt Schlangen wieder im Büro sitzen, mindestens vier Stunden am Tag, und sich um Projektmanagement kümmern.

Aber noch später, in der neuen Saison? Was wird dann passieren? Schlangen sitzt an einem Tisch in seiner Wohnung, er sinniert über diese Frage.

Dann entwickelt er bedächtig „revolutionäre Gedanken“. Er sagt wirklich „revolutionär“.

Die gedankliche Revolution des Carsten Schlangen steckt in den Sätzen, die er langsam, fast nachdenklich sagt: „Das Ziel im nächsten Jahr ist nicht mehr die Teilnahme am Höhepunkt, in diesem Fall die WM, sondern eine gute Saison mit schönen Rennen. Wenn dabei die WM-Qualifikation abfällt, ist das okay.“ Und: „Was ist schon ein WM-Rennen? Es gibt viele Rennen.“ Oder: „Ich muss nicht bei jeder deutschen Meisterschaft gewinnen, bei der ich antrete. Vielleicht sollte ich mal Rennen bei deutschen Meisterschaften als harte Trainingsläufe betrachten.“

Carsten Schlangen hat, anders gesagt, die Nase gestrichen voll von dieser Jagd nach Normen. Drei Meter neben ihm steht in einem Wandregal ein Foto von seinem größten Erfolg. Schlangen mit ausgebreiteten Armen, das Gesicht zu einem glücklichen, erschöpften Lächeln verzogen. Der Moment, in dem er die Silbermedaille über 1500 Meter bei der Leichtathletik-EM 2010 gewonnen hat. Damals hatte ihn die Jagd nach Normen wenig belastet, er wurde ja belohnt für die Hatz.

2012 in London schied er im Halbfinale aus; auf den letzten 200 Metern fehlte ihm die Kraft, um einen Finalplatz zu erreichen. „Ich hatte mich zwischen Vorlauf und Halbfinale nicht genug erholt“, sagt der 31-Jährige, „da hat Training gefehlt.“

Das Training hatte wegen der Jagd nach der Olympianorm gefehlt, der Kreis schließt sich. Carsten Schlangen qualifizierte sich erst im letzten Moment für London: In Bottrop lief er glanzvoll 3:33,64 Minuten, damit blieb er fast zwei Sekunden unter der Norm. Seit 15 Jahren war kein deutscher Mittelstreckler so schnell wie Schlangen. Aber er hatte keine Zeit mehr, sich vernünftig auf London vorzubereiten. Er hatte serienweise Rennen absolviert, immer mit dem einen Ziel: Er wollte diese verdammte Olympia-Norm. Er lief auch mal in New York, „das war der verzweifelte Versuch, die Norm zu schaffen“, sagt Schlangen. Der Trip nach New York „hatte etwas Aktionistisches“, am Ende war er drei Sekunden zu langsam. „Mit jeder verpassten Norm wusste ich, dass ich wieder Zeit verloren habe.“ Andererseits: „Wenn ich die Norm nicht erreicht hätte, dann hätte ich an meiner Leistungsfähigkeit gezweifelt“, sagt Schlangen.

Aber was hat sie ihm gebracht, die Norm? Er war in London, das schon. Aber er lief ja unter einem enormen Erwartungsdruck. Er lief als Vize-Europameister von 2010, das ist jetzt sein Label. Dass in zwei Jahren viel passieren kann, spielt da kaum eine Rolle. Ein Halbfinal-Aus gilt bei so einem als Enttäuschung.

Schlangen ist selbst enttäuscht, er hatte auch das Finale als Ziel. Andererseits wehrt er sich nachgerade trotzig gegen Vorwürfe. „Wer in Deutschland ist denn in den letzten Jahren schon 3:33 Minuten gelaufen?“, sagt er heftig. Wer, außer Carsten Schlangen? Und 2011, in Paris? „Da bin ich 3:35 gelaufen, obwohl ich fast gestolpert wäre.“ Gut, Olympia ging schief. Aber nicht die ganze Saison. „Ich habe aus dieser Saison mitgenommen, dass ich im guten Trainingszustand in einem absoluten Weltklassefeld mithalten kann.“

Es geht nur um die Frage: Wie gelingt ihm das am besten? Indem er sich selbst den Druck nimmt, sagt er jedenfalls. „Ich möchte mich in Rennen nicht mehr bloß nach hinten fallen lassen, ich will auch mal Risiko eingehen.“ Die erfüllte WM-Norm gilt als nette Beigabe. Das klingt abgeklärt, ist aber nur die halbe Wahrheit. Dass er bei guten Rennen die Norm automatisch erfüllt, ist schon Teil des Kalküls, das sagt er schließlich doch.

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Mein Kommentar zum Artikel:

Im Grunde genommen ist es mir egal, ob meine Gedanken nun als revolutionär, interessant oder seltsam empfunden werden. Fest steht: Ich möchte mich nicht mehr von der Jagd nach Normen für Einsätze im Nationaltrikot vereinnahmen lassen. Die Erreichung der Norm kann und darf nicht Höhepunkt einer Leichtathletiksaison sein – was de facto für viele deutsche Läufer/innen in diesem Jahr zutreffend ist. Die Freude am Laufen und am Wettkampf soll für mich wieder mehr im Vordergrund stehen. Ich bin mir sicher, dann kommt die Norm und vielleicht noch mehr ganz nebenbei…