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Allein im Wind

17 Juni 2009

Vom Verzicht des Istaf auf die Diamond League wollen sich die aufstrebenden deutschen Mittelstreckler nicht bremsen lassen

Carsten Schlangen beim Istaf - Bild Merlin Rose

Es hat auch einen Vorteil, dass das Istaf, das bedeutendste Leichtathletik-Sportfest Deutschlands, nächstes Jahr umziehen wird, aus der Bel Etage der globalen Meetings ins Souterrain der günstigeren zweitrangigen Veranstaltungen, und wohl auch von West- nach Ostberlin, vom 75 000 Menschen fassenden Berliner Olympiastadion in das beschauliche, 25 000 Leute beherbergende Jahnstadion. Am Dienstag wurde der Verzicht auf Mitwirkung an der Diamond League 2010 verkündet, vorab schon hatte Carsten Schlangen, 1500-Meter-Läu-fer der LG Nord Berlin gesagt: „Dann müsste ich nicht mehr mit der S-Bahn zum Istaf fahren, sondern könnte zu Fuß hingehen." Abgesehen davon findet er die Zurückstufung schade: „Die letzten zwei Istafs", sagt Schlangen, „waren die besten, was die Kulisse, die Stimmung und die Atmosphäre angeht."

Schrittmacher für die Norm

Es ist klar, dass Carsten Schlangen das so sieht, denn bei den beiden letzten Istafs ist er jeweils persönliche Bestzeiten gerannt: Im vorigen Jahr qualifizierte er sich mit seinen 3:34,99 Minuten für die Olympischen Spiele in Peking, am vorigen Sonntag erfüllte er in 3:34,60 das No-minierungskriterium für die Weltmeisterschaften vom 15. bis 23. August auf der
gleichen blauen Bahn im Berliner Olympiastadion. Dass sich in dem sogar noch schnelleren Erfurter Stefan Eberhardt (3:33,92) ein weiterer 1500-Meter-Läufer für den Saisonhöhepunkt qualifizierte, hat es lange nicht mehr gegeben im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Dieser erfreuliche Umstand hat viel mit dem Istaf zu tun.

„Wir müssen den Istaf-Leuten auch mal danken", findet Henning von Papen, der für die Mittelstrecken zuständige DLV-Trainer: „Wir bekommen seit zwei Jahren immer ein paar Startplätze für unsere Läufer." Das sei ein wesentlicher Grund, dass die lange brachliegende Disziplin gerade wieder aufblüht. In der jüngeren Vergangenheit rannten die 1500-Meter-Läufer ja nur in einem Teufelskreis: „Wir hatten selten die Chance, unsere Leute in hochkarätige Rennen zu bekommen", erklärt Papen, „selbst wenn sie mal die Form dafür hatten."

Die Veranstalter stellen ihre Teilnehmerfelder anhand von Bestzeiten zusammen, diejenigen der deutschen Kandidaten waren oft nicht gut genug, und sie wurden eben auch nicht besser, weil ihnen die nötige Konkurrenz als Antrieb fehlte. „Wenn man 3:35 laufen will, muss alles zusammenpassen", sagt Stefan Eberhardt, 24. Carsten Schlangen, 28, sagt: „Bei den nationalen Meetings gibt es kaum jemanden, der ein Rennen so zusammenstellen kann, dass die Norm-Zeiten herauskommen."

Bei seinem Saisoneinstand in Dessau Anfang Juni beispielsweise hätten die vorgesehenen Schrittmacher weder das Tempo eingehalten, das abgesprochen war, noch die Distanz, für die sie engagiert gewesen waren. „Plötzlich stand ich allein im Wind", erzählt Schlangen, „und das war's dann auch schon." Der Gegenwind bremste ihn herunter auf 3:43,17 Minuten, die erste Chance war vertan, die WM-Norm von 3:36,20 Minuten zu erfüllen.

Fortschritte erkennbar

Der 1500-Meter-Lauf beim Istaf hingegen war „ein Rennen, in dem alles gepasst hat", findet Eberhardt: das Wetter mit viel Wärme und wenig Wind, der Rennverlauf mit schnellen Gegnern und wenig taktischem Geplänkel, die Unterstützung des 64 000 Menschen zählenden Publikums. Davon haben alle Läufer profitiert: „Ich bin ja nicht der einzige, der eine persönliche Bestzeit gelaufen ist", sagt Eberhardt, der sich gegenüber dem Vorjahr um fast dreieinhalb Sekunden steigerte. Fünf Mitläufer schafften auch eine, vier weiteren gelang immerhin eine Saisonbestmarke.

Es ist freilich nicht dieses Berliner Rennen vom Sonntagnachmittag allein, das den Eindruck erweckt, dass die deutschen Mittelstreckler wieder ein wenig im Kommen sind. Sie gehen mit einer ganz anderen Einstellung in ihre Wettkämpfe, mutiger, entschlossener, aggressiver. „Wir sind offensiver geworden", bestätigt Papen. Aber zu offensiv wollen sie den Rest der Welt nun auch nicht angreifen. „Es wäre fatal, wenn man jetzt als nächsten Schritt von den Jungs Zeiten von 3:32 Minuten erwartet", bremst der DLV-Trainer die Erwartungen: „Sie müssen sich jetzt erst mal in diesem Bereich stabilisieren."

Die Fortschritte scheinen dennoch keine einmaligen Ausrutscher zu sein. Außer Eberhardt und Schlangen gibt es über 1500 Meter noch den derzeit verletzten Wolfram Müller, 27, aus Pirna; der ehemalige U23-Europameister war in der Hallensaison am schnellsten unterwegs und verfehlte bei der EM in Turin nur knapp eine Medaille. „Der ist da konsequent von vorne gelaufen", lobt Schlangen, „man muss sich halt auch mal was trauen." Sowie der junge 800-Meter-Kol-lege Robin Schembera aus Leverkusen. Der gewann am Sonntag zwar beim Istaf, verfehlte aber in 1:45,96 Minuten noch die WM-Norm (1:45,40). „Auch er läuft sehr offensiv", sagt Carsten Schlangen, das gefällt mir gut.

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