Schlangens Suche nach der finnischen Seele

Der Mann kennt sich aus, keine Frage. Rechts, links, geradeaus über die Straßenbahnschienen – zielstrebig navigiert uns Carsten Schlangen durch Helsinki. 2003/2004 hat der 1.500-m-Läufer, der vor zwei Jahren in Barcelona sensationell zu EM-Silber gestürmt war, zehn Monate in der finnischen Hauptstadt gelebt. Zwei Semester studierte der Berliner an der Technischen Universität Architektur. Eine Zeit, die er nicht missen möchte. “Ich wollte das etwas andere Europa kennen lernen, nicht unbedingt die Standards”, erzählt er sportschau.de. Enttäuscht wurde er nicht: “Die finnische Schwermut hat manchmal etwas Träumerisches. Das führt dazu, dass die Finnen verschlossen sind, aber eben auch sehr kreativ”, sagt der 31-Jährige.

Über Ski-Langlauf zum Leistungssport

Kreativität, das ist die Sache von Carsten Schlangen. Sein Architekturstudium hat er längst beendet, jetzt arbeitet er Teilzeit in einem Berliner Architekturbüro. So bleibt Zeit genug für den Leistungssport. Dass er es in der Leichtathletik überhaupt so weit gebracht hat, ist nicht zuletzt seinem Helsinki-Aufenthalt geschuldet. “Ich habe hier häufig Ski-Langlauf als Alternativtraining gemacht. Zurück in Berlin habe ich mir dann überlegt, das Laufen ambitionierter anzugehen”, berichtet er. 2005, bei seiner ersten Teilnahme an den deutschen Meisterschaften, holte er auf Anhieb Silber. Mittlerweile hat er sich fünfmal den nationalen Titel gesichert, ist seit Jahren der beste deutsche 1.500-m-Läufer.
Zurück in der Stadt, in der alles begann

Jetzt ist Schlangen zurück in der Stadt, in der alles begann. Die facettenreiche Architektur begeistert den Berliner immer noch, er nimmt uns mit auf einen Streifzug durch “sein” Helsinki. Dom, Senatsplatz, vor allem aber der Besuch eines modernen Holzpavillons stehen auf seiner Liste. Das lichtdurchflutete Schmuckstück haben Studenten von Schlangens ehemaliger Universiät anlässlich der Ernennung Helsinkis zur Design-Welthauptstadt 2012 entworfen. Ein Abstecher dorthin ist also praktisch Pflicht. “Die Architektur hier ist sehr von Holz geprägt, das gefällt mir gut”, ist er begeistert.

Besuch im Stadion: “Das ist schon cool”

Im Sightseeing-Programm unverzichtbar: ein Besuch des Stadions. Hier sollten eigentlich die Olympischen Sommerspiele 1940 stattfinden, die aber wegen des Zweiten Weltkriegs entfielen. 1952 wurden sie nachgeholt – “aber die Architektur des Stadion ist deshalb nicht so, wie man sie in den 50er-Jahren erwartet hätte”, erklärt Schlangen. Wir dürfen sogar ausnahmsweise den 72,71 Meter hohen Stadionturm erklimmen, der eigentlich während der EM gesperrt ist. Die Höhe entspricht genau der Siegweite des finnischen Speerwurf-Olympiasiegers von 1932, Matti Järvinen. Schlangen war vor Jahren schon einmal hier, doch diesmal ist die Situation anders. Fasziniert schaut er aus luftiger Höhe auf die Bahn. “Das ist schon cool”, meint er. Am Samstag gibt er hier sein Debüt – die WM 2005 an gleicher Stelle kam für ihn noch zu früh. “Aber ich habe damals schon gedacht, wenn ich hier laufen könnte, das wäre großartig”, sagt er.

Noch einige Freunde in der Stadt

Wir machen uns auf den Weg zurück, Schlangens dicht gedrängter Terminplan sieht noch eine Trainingseinheit vor. Auf dem Stadionparkplatz treffen wir eine finnische Dame. Sie lebt seit 40 Jahren in Deutschland, ist jetzt als EM-Helferin in Helsinki. Sie erkennt den Vize-Europameister sofort. “Du bist doch Carsten Schlangen, du kennst dich doch gut aus hier”, meint sie. Beide kommen ins Plaudern, doch die Zeit drängt, wir müssen weiter. “Viel Glück”, ruft sie uns hinterher. Sie ist beileibe nicht der einzige Fan des deutschen Mittelstrecklers. Schlangen hat noch viele Freunde hier, einige werden ins Stadion kommen und ihn anfeuern.
32 Hundertstel fehlen zur Olympia-Norm

Das kann der Berliner gut gebrauchen: Er hofft am Wochenende nicht nur auf einen ähnlichen Coup wie 2010, sondern auch auf die Olympia-Norm. Lediglich 32 Hundertstel fehlen ihm zum begehrten Richtwert von 3:35,50 Minuten. Aber: “So ein Erfolg ist schwer wiederholbar. Jedes Rennen ist neu. Es wäre schon toll, in den Endlauf zu kommen”, schränkt Schlangen ein: “Die EM ist ein ganz guter Zwischenschritt. Aber die Norm hier zu laufen, ist fast ausgeschlossen, weil diese großen Rennen meistens eher taktisch sind.” Gelingt das Unterfangen nicht, hätte Schlangen nach der EM noch zwei Chancen, um das London-Ticket zu lösen. Aber vielleicht klappt es ja doch in der Stadt, die er kennt wie seine Westentasche. Träumen ist schließlich immer erlaubt. So ganz nach Art der Finnen.

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9 Comments to “Schlangens Suche nach der finnischen Seele”

  1. Gregor sagt:

    Hi Carsten,

    heute war nicht dein Tag, trotzdem hast du erneut
    meine Sympathie gewonnen und bist mutig gelaufen,
    leider bringt dich der P. aus dem Tritt. Du bist
    ein intelligenter “Stehaufmann” und hast dies
    oft genug bewiesen. Weiter so!

    Viel Erfolg in Reimes/Bottrop!

    Architekt und Vizeuropameister mit Persönlichkeit
    das kann dir keiner mehr nehmen!

    Ich hoffe wir sehen dich erneut bei Olympia,
    ansonsten, der Langstreckenlauf könnte dich
    auch super gebrauchen.

    Liebe Grüsse (ex-Marathonjogger)

    Gregor

    • admin sagt:

      Hi Gregor,

      vielen Dank für Deine aufmunternden Worte. Mit dem Wieder-Aufstehen hat es geklappt. London – here I come!

      Carsten

  2. jeremiah luna sagt:

    Hey Carsten,

    I saw Florian Orth fall down yesterday at the EM, heard your name once or twice, curious why you did not run?

    Cheers

    Jeremiah

    • admin sagt:

      Hi Jeremiah,

      sorry for my delayed answer.

      I nearly fell in the heats with 100m to go. So I got only 11th in my heat… Bad luck on a strange (almost rectangular) track.

      Carsten

  3. Hans-Peter sagt:

    Glückwunsch zu einem Wahnsinnslauf in Bottrop und einer neuen PB über 1.500 m mit 3:33,67 Minuten. Damit hast du die Olympia-Norm von 3:35,50 min fast 2 Sekunden unterboten !!!

  4. Gregor sagt:

    Herzlichen Glückwunsch Carsten,

    schön das sich meine Hoffnung, dich
    doch noch bei Olympia zu sehen, bestätigt
    hat. Spitze Carsten!

    Viele Spass und Erfolg in London,
    dort gibt es ja auch schöne Meisterwerker
    einiger Architekten zu bewundern und zudem
    dich im Kampf gegen die “Gazellen”.

    3 3/4 Runde pure Leidenschaft !

    Weiter so du bist ein Vorbild !

    Schöne Grüsse

    Gregor

    • Micha sagt:

      185 Hundertstel ;)

      • admin sagt:

        Hi Micha…

        sind das nicht 186 Hundertstel? Wenn man auch mit einer 3:35,50 die Quali erfüllt hat???

        Liebe Grüße und bis gleich beim Training, Carsten

    • admin sagt:

      Hallo Gregor,

      vielen Dank für Deinen Kommentar und die Glückwünsche.

      Bei meinem diesjährigen Besuch in London werde ich mich eher auf den Sport konzentrieren… und den Architekten in mir auf einen späteren Besuch der britischen Metropole vertrösten…

      Die amorphe Schwimmhalle von Z. Hadid werde ich mir sicherlich ansehen und natürlich olympische Gebäude und Konstruktionen, die nach den ‘Grünen Spielen’ zurück gebaut und recycled werden.

      Liebe Grüße, Carsten

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