Carsten Schlangen – der erfolgreiche Spätstarter

Die Oranienburger Straße in Berlins Mitte ist immer belebt. Tagsüber, abends, nachts. Touristen und Berliner bevölkern die Kneipen, Bars und Restaurants. Auch eine Bekannte von Carsten Schlangen saß dort. Sie erzählte von einem Freund, der sehr viel laufe, zu allen möglichen Zeiten. Und da die Welt ja bekanntlich ein Dorf ist, bog dieser Freund kurz danach um die Ecke und rannte am Lokal vorbei.

Es war Carsten Schlangen – und es war kurz nach Mitternacht. Das ist ein paar Jahre her, Schlangen war damals ein ambitionierter Hobbyläufer. Inzwischen ist er der beste deutsche 1500-Meter-Läufer und startet am Samstag bei der Leichtathletik-WM in Berlin über diese Distanz.

Lauftraining nachts nach der Uni

Wer in seiner Sportart etwas werden will, muss im Normalfall von klein auf alles dafür tun. Viele Entbehrungen auf sich nehmen, trainieren, trainieren, trainieren. Schlangen ist der Gegenentwurf dazu. Er hat Abitur gemacht, hat sein Architekturstudium vorangetrieben. Gut, fast täglich trainiert hat er auch, aber eben nicht professionell. Manchmal lernte er bis 23 Uhr in der Uni, fuhr nach Hause und zog die Laufschuhe an. "Ich bin dann von 23.30 Uhr bis 0.30 Uhr gelaufen. Was dabei rumkommt, kann sich jeder vorstellen", sagt der 28-Jährige.

Mit 23 Jahren erst zum Leistungssport

Der Einschnitt kam in Finnland. Schlangen absolvierte dort zwei Auslandssemester. Er lernte neue Leute kennen. "Ich habe gesehen, dass es auch andere Lebensentwürfe gibt", sagt Schlangen. Mal etwas anderes ausprobieren, nicht alles auf ein Ziel, den Studienabschluss, ausrichten. Vielleicht klappt es ja bei mir, dachte er sich im Alter von 23 Jahren – und versuchte sich am Leistungssport. Freunde und Familie glaubten an eine kurze Episode, ein Jahr, nicht länger. Der Trainingsumfang wurde verdoppelt, Nachtläufe gab es nicht mehr.

Plötzlich ist das WM-Finale drin

Innerhalb eines Jahres verbesserte Schlangen seine Bestzeit um zwölf Sekunden auf 3:40 Minuten, auf der in Deutschland zu dieser Zeit brachliegenden Distanz belegte er bei der ersten Teilnahme Platz zwei bei der deutschen Meisterschaft. Mittlerweile hat er drei nationale Titel im Freien und einen in der Halle erlaufen. 2006 war er bei der EM dabei, 2008 bei Olympia im Halbfinale, nun startet der gebürtige Meppener bei der WM. Seine persönliche Bestzeit hat Schlangen beim ISTAF im Juni auf 3:34,60 Minuten verbessert. Zusammen mit dem Erfurter Stefan Eberhardt hat er die 1500 Meter hierzulande wieder belebt. Wie bei Eberhardt ist auch für Schlangen durchaus das Finale drin – sollten die Schienbeinschmerzen rechtzeitig abklingen, mit denen er sich seit einigen Wochen rumplagt.

Das nächste Ziel heißt: Diplomarbeit

Aus dem einen Probejahr im Leistungssport sind inzwischen fünf geworden. Und das Studium? "Viele Leute kenne ich an der Uni nicht mehr", sagt Schlangen. Die meisten sind fertig, er selbst hat einige Urlaubssemester genommen, beispielsweise vor Olympia 2008. Der Spagat ist schwer, da das Architekturstudium viele praktische Elemente erfordert, um in der Übung zu bleiben. Dafür hatte Schlangen kaum Zeit. Nach der WM will er aber seine Diplomarbeit in Angriff nehmen. Viele zeitliche Reserven hat er nicht eingebaut, im Frühjahr beginnt die Vorbereitung auf die Europameisterschaft. Schlangen hat den etwas anderen Weg in die Spitze eingeschlagen. Er wird nie zu den Top-Stars gehören, aber er ist so gut, dass er davon leben kann.

Auf Papptafeln durch die Hauptstadt

Auch sonst geht er einen anderen Weg als viele Athleten seiner Leistungsstärke. Einen Manager hat er nicht. Braucht man nicht, findet er. Ein Auto hat er nicht. Brauche man in Berlin nicht. Mit seinem Bruder Dirk wohnt er in einer WG. Dass die WM zu wenig beworben werde, haben viele Athleten bemängelt. Schlangen hat mithilfe seiner Sponsoren Papptafeln auf Wasserrohren aufstellen lassen und lief in Lebensgröße durch die Stadt. Und zum Kontrollsystem der Welt-Antidoping-Agentur WADA bemerkte er in Anspielung auf die strikten Kontrollauflagen, dass der Aufwand für den einzelnen Sportler in keinem Verhältnis zur Effizienz stehe.

Fahrservice statt öffentlicher Nahverkehr

Wenn er am Samstag ins Olympiastadion aufbricht, muss er auf eine Gewohnheit verzichten. Zum ISTAF reist Schlangen immer mit öffentlichen Verkehrsmitteln an, "das ist am einfachsten". Bei der WM wohnen die Athleten vor ihrem Wettkampf im Hotel, von dort gibt es einen Fahrservice

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