Leistungssprünge auf den hinteren Plätzen

Neun Jahre nach dem Olympiasieg von 800-Meter-Läufer Nils Schumann hat der Erfurter Trainer Dieter Hermann wieder einen Läufer in der erweiterten Weltspitze. Stefan Eberhardt vom Laufclub Erfurt steigerte sich beim DKB-ISTAF auf 3:33,92 Minuten über 1500 Meter. Hinter ihm verbesserte Carsten Schlangen (LG Nord Berlin) seine Bestzeit auf 3:34,60 Minuten. Mehr als die Plätze fünf und zehn war dennoch nicht drin im besten 1500-Meter-Rennen seit langem.

Manchmal muss man langsamer laufen, um schneller zu werden. Das beste Beispiel dafür lieferte Stefan Eberhardt beim DKB-ISTAF in Berlin. In 3:33,92 Minuten erzielte er die schnellste Zeit eines Deutschen seit zwölf Jahren. 1997 waren Rüdiger Stenzel und Dieter Baumann in 3:33,51 bzw. 3:33,60 als Letzte unter 3:34 Minuten gelaufen. Eine gefühlte Ewigkeit später qualifizierte sich Stefan Eberhardt als Fünfter genauso für die Weltmeisterschaften in Berlin wie Carsten Schlangen, der Zehnter wurde. Sieger Augustine Choge (3:29,47) und der zweitplatzierte Haron Keitany (3:30,20) aus Kenia liefen beim ISTAF 1500-Meter-Zeiten, wie sie im ganzen Olympiajahr 2008 nicht geboten wurden.

„Ich habe bei den Dauerläufen in diesem Winter das Tempo reduziert", verriet Stefan Eberhardt in Berlin sein Erfolgsgeheimnis. Zuvor war der aktuelle Deutsche Meister über 1500 Meter ständig in Geschwindigkeiten unterwegs, bei denen er jeden Kilometer unter vier Minuten gelaufen war. Das hat sich der 24-Jährige abgewöhnt.

Keine Eiweiß-Probleme mehr

Seitdem sind auch seine Probleme mit dem Eiweißstoffwechsel gelöst, die ihn zusammen mit vielen kleineren Wehwehchen und Verletzungen in der Leistungsentwicklung gehemmt hatten. „Mein Eiweißspiegel war früher oft zu niedrig", erinnert er sich. Das kann mit dem hohen Lauftempo im Training zusammenhängen. Die Sportwissenschaft weiß schon lange, dass Athleten, die sich zu oft und in zu kurzen Abständen zu hart belasten, in einen so genannten katabolen Stoffwechsel geraten, bei dem körpereigenes Eiweiß abgebaut wird. Mit der Steigerung des Trainingsumfangs bei gleichzeitig verringerter Intensität haben Stefan Eberhardt und sein Trainer Dieter Hermann das Problem gelöst. Bis zu 160 Kilometer in der Woche ist der Erfurter in der Vorbereitung auf die WM-Saison gelaufen.

Um beim DKB-ISTAF starten zu dürfen, musste er sich erst auf 3:37,10 Minuten verbessern. Die Einladung erhielt er nach seinem couragierten Rennen am 1. Juni in Hengelo. In Berlin erwischte der Landespolizist aus Thüringen, der im vergangenen Jahr seine Prüfung als Polizeimeister abgelegt hat, ein optimales Rennen – im Gegensatz zu Carsten Schlangen (LG Nord Berlin), der seine Bestzeit zwar um 39 Hundertstel steigerte, aber hinterher noch ein paar Argumente fand, warum er als Zehnter erst fünf Plätze hinter Stefan Eberhardt ins Ziel kam.

Nach einem sehr schnellen Beginn (400 m in 55,12 s) war eine kleine Lücke zur Spitzengruppe entstanden, die der Berliner schließen musste. „Mir war klar: Wenn ich die jetzt nicht zumache, dann sind wir beide weg. Dann habe ich mich halt ran gekämpft. Es hat sich ja am Ende für mich auch ausgezahlt, für Stefan halt noch ein bisschen mehr."

Zwei fürs Finale?

Während Stefan Eberhardt nach der Erfüllung der WM-Norm und einer Steigerung seiner Bestzeit um 3,18 Sekunden nur vom Zwischenlauf spricht, den er bei seinem nächsten Auftritt im Olympiastadion anpeilt, geht Carsten Schlangen einen Schritt weiter: „Wenn wir unsere Leistung abrufen, dann haben beide berechtigte Chancen auf das WM-Finale." Bis zu den Deutschen Meisterschaften in Ulm am ersten Juli-Wochenende will er noch „mehr investieren, um an Stefan Eberhardt vorbeizukommen und ihn als Deutschen Meister zu entthronen.

Sein Erfolgsrezept für Berlin ähnelt dem von Stefan Eberhardt. Er hat sich in der Woche vorher einfach mal ausgeruht. „Eigentlich bin ich im Training immer sehr locker gute Zeiten gelaufen", sagt er und wundert sich, dass er bis zum DKB-ISTAF in dieser Saison nicht über 3:43,72 hinausgekommen ist. „Jetzt habe ich mir eine ganze Woche Auszeit genommen, habe mal nur rumgelegen und ge-chillt. Das macht einen ganz großen Unterschied." Diese Gelassenheit hat er sich auch von den starken Läufern aus Afrika abgeschaut. „Die leben so ein bisschen in den Tag hinein und schauen, was sich ergibt." Mit einer Prise afrikanischen Lebensgefühls glaubt er, künftig noch schneller laufen zu können.

Carsten Schlangen würde in der WM-Vorbereitung gerne mehr als bisher mit seinem stärksten nationalen Konkurrenten zusammenarbeiten. „Bisher hat sich das immer nicht so ganz ergeben, aber ich habe mit Stefan schon darüber gesprochen. Vielleicht machen wir im Vorfeld der WM ein gemeinsames spezifisches Trainingslager in Königs Wusterhausen. Dann kann man sich nochmal gegenseitig zu guten Zeiten pushen", meinte der Berliner.

Nur noch Norm-Jäger

Stefan Eberhardt hat sich in diesem Jahr voll auf das Laufen konzentriert. Der leidenschaftliche Jäger hat sich viel weniger Nächte auf zugigen Hochsitzen um die Ohren geschlagen als in der Vergangenheit. Längst verbringt er viel mehr Zeit im Wald mit Lauftraining als mit der Jagd auf heimisches Wild. Das war nicht immer so, schon mit 16 Jahren hat er den Jagdschein gemacht. Zuvor ist er schon mit seinem Onkel gemeinsam in den thüringischen Wäldern um seinen Heimatort Schleiz auf der Pirsch gewesen. In diesem Sommer hat er dagegen nur die WM-Norm gejagt – und in Berlin hat er die 3:36,20 erlegt.

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