Schreck im Doppelpack

Der DOSB hat Krach mit den Dauerläufern: Nur ein Deutscher darf im Einzelrennen in Peking an den Start

Focus - Schreck im Doppelpack

 Dauernd hat er am Computer gedaddelt in letzter Zeit. Strategiespiele. „Möglichst aggressiv" musste es zugehen auf dem Flimmerschinn, sagt Langstreckenläufer Jan Fitschen: Der Zorn brauchte ein Ventil. 28:02,55 Minuten war der Bochumer im Mai in Kalifornien gelaufen – eine flotte 10 000-Meter-Zeit. Seine Bestleistung. Und dennoch nicht schnell genug fürs große Ziel Peking. Auf 27:50,00 Minuten hatte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) die Norm fixiert. Eine Marke, die überwiegend Afrikaner mit ihren raumgreifenden Schrittfolgen packen. Fitschen, 31, erfahren, Europameister, zigfacher Deutscher Meister, wird nicht laufen in China. Wegen ein paar Sekunden.

Absenz der Ausdauerlungen. Der Lange aus dem Ruhrgebiet reiht sich ein in eine Riege Frustrierter. In mehr als einem Dutzend prestigeträchtigen Langstreckendisziplinen – vom 800-Meter-Lauf über die 3000 Meter Hindernis bis zum Marathon – wird bei den Männern nur ein schwarzrot-goldener Dauerlauf er auftauchen: der Meppener Carsten Schlangen, der die Qualifikationsnorm von 3:35,50 unterbot und über 1500 Meter startet .Die Amerikaner nehmen viele Läufer mit, weil bei ihnen das Olympiamotto .Dabei sein ist alles' gilt Bei uns existiert diese Philosophie nicht", schimpft der Tübinger 5000-Meter-Spezialist Arne Gabius, der mit 13:26,69 fünf Sekunden an der Norm vorbeischrammte.

Der Unmut bricht sich beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) in Darmstadt Bahn, vor allem im Mail-Postfach von Bundestrainer Jürgen Mallow. In giftigen Kurztexten und Telefonaten klagen die Kilometerfresser über geraubte Chancen und geplatzte Träume nach langen Trainingsqualen. Jan Fitschen hat sich viele Wochen in brütender Hitze in Fagstaff/Arizona vorbereitet. Jeden Mittwochmorgen stärkte er sich mit amerikanischen, kenianischen oder englischen Läufern mit Bagels nach gemeinsamen 20-Kilometer-Einheiten. Ein ähnliches Pensum danach im Ruhrgebiet: früh raus aus den Federn, rauf auf den Asphalt, Kilometer für Kilometer abreißen. Ein Höhentrainingslager in St. Moritz war für die Zeit nach der Quali geplant. Doch nach dem Misserfolg auf seiner Lieblingsstrecke klappte es wegen einer Fußentzündung auch nicht auf der 5000-Meter-Distanz, der zweiten Option. „Eine der größten Sportnationen der Welt gestattet es sich, einen Europameister nicht für die Olympischen Spiele zu nominieren", zürnt Fitschen, der damit gerechnet hatte, dass ihn der DOSB über die Hintertür – die 10000-Meter-B-Norm (28:10,00) hat der Bochumer geschafft – mit zu Olympia nimmt. Statt Medaillenjagd urlaubt er nun mit Freundin Heike auf Korsika.

Drittes Beispiel, gleiches Pech: Robin Schembera. Der Leverkusener, Junioreneuropameister über 800 Meter, lief in Biberach sehr gute 1:45,66 – 16 Hundertstel zu wenig für Olympia. Der 19-Jährige ist der überragende Jungspund auf der 800-Meter-Strecke in Deutschland – eins der Talente, „die in Peking wichtige Erfahrungen für weitere Großereignisse hätten sammeln können", wie Routinier Fitschen findet.

Der DOSB ließ sich nicht erweichen. Die Nationalverbände erhielten vom IOC die Auflage, nicht mehr als 10500 Athleten nach Asien zu lassen – deshalb die Brutalnormen. „Wir müssen für alle Wettbewerbe annähernd vergleichbare Kriterien schaffen – und das Hauptkriterium ist die Endkampfchance", erklärt DOSB-Sprecher Michael Schirp.

Beim DLV fürchtet man einen Schreck im Doppelpack: Fast-Abstinenz in Peking und 2009 bei der WM in Berlin. „2009 können wir in Eigenregie mehr Läufer nominieren", kündigt Bundestrainer Mallow an, der aber einräumen muss: „Unsere Talentedecke ist dünner geworden." Junge Leute frönen der Massenleidenschaft Joggen, verweigern sich aber weitgehend den Großdistanz-Mühen bei der Vorbereitung auf Profirennen. Sport ist für viele gleichbedeutend mit den Trockenübungen an einer futuristischen Spielkonsole wie Wii, die man mit einem Körper in Bewegung steuert. Fitschen bekam „beim Besuch im Kindergarten auf die Frage, was für Sport die Kleinen treiben, von einem Jungen die Antwort: Wii-Sport".

Deutsche Dauerläufer könnten also auch 2012 bei den Spielen in London rar sein. Da setzt wieder der DOSB die Norm. Und verspricht: Die Messlatte wird hoch liegen. Sehr hoch.

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