Die „Schlange“ kämpft wie ein Löwe

Lediglich ein deutscher Athlet qualifizierte sich für die Mittel- und Langstreckenwettbewerbe der Herren bei den Olympischen Spielen in Peking – und der hat emsländische Wurzeln. Der Vorzeigesportler heißt Carsten Schlangen, wurde in Meppen geboren und wird über die 1500-Meter-Strecke an den Start gehen.

Schlangen ist der vierte Emsländer überhaupt, der vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) die Teilnahmeberechtigung für die Olympischen Spiele erhalten hat. Er wandelt auf den Spuren des Lingener Ruderers Peter van Roye (1976), der in Montreal mit Thomas Strauss im Zweier ohne Steuermann Bronze holte, des Haselünner Boxers Andreas Schnieders (1988) und des Sögeler Schwimmers Marco di Carli (2004). Schlangen ist also der erste emsländische Leichtathlet bei einer Olympiade. Holt er jetzt als zweiter Emsländer eine Medaille?

Der am 31. Dezember 1980 geborene Schlangen ist ein Spätstarter, der sich erst im Alter von zwölf Jahren der Leichtathletikabteilung von Union Meppen anschloss. „Ich habe damals beim Citylauf in Meppen mitgemacht und bin 10 Kilometer gelaufen“, erinnert sich der Emsländer. „Ich war bei ungefähr 40 Minuten, vielleicht knapp darunter. Das war eine sehr gute Zeit. Daraufhin wurde ich von der Leichtathletikabteilung von Union Meppen zum Training eingeladen.“ Zu diesem Zeitpunkt spielte Schlangen noch Fußball beim SV Teglingen. „Weil ich relativ klein und schmächtig war, drohte mir die Ersatzbank. Da habe ich mich für die Leichtathletik entschieden“, beschreibt der 27-Jährige die Gründe seiner Wahl gegen die Massensportart, die ihm aber nicht allzu schwer gefallen ist. „Fußball war einfach nicht mein Ding“, stellt der zehnfache Deutsche Meister klar.

 

Schlangens ehemaliger Trainer Gerd Janning, der den Emsländer bis 2005 betreute, kann sich noch gut an die ersten Schritte seines langjährigen Schützlings in der Leichtathletikwelt erinnern. „Carsten fiel auf dem Marianum im Sportunterricht auf“, erinnert er sich. „Seine Lehrerin hat dafür gesorgt, dass er überhaupt am 10-Kilometer-Citylauf in Meppen teilnehmen durfte. Eigentlich war Carsten nämlich noch zu jung.“

Nachdem Schlangen das Training bei Union aufgenommen hatte, wurde Janning schnell klar, dass er einen besonders talentierten Teilnehmer in seiner Gruppe begrüßen durfte. „Carsten war zwar eher klein und schmächtig, aber er hatte Talent und eine große Ausdauer“, nennt Janning Schlangens hervorragenden Voraussetzungen. „Wir haben überwiegend auf der Kurzstrecke gearbeitet, da er noch ein bisschen zu langsam war. Eigentlich wollte er Langstreckenläufer werden, aber er hat gemerkt, dass ihm die kürzeren Distanzen sehr gut liegen und er Spaß daran hatte.“

Dass Schlangen den Sprung in die nationale Spitze schafft, das hat sein Trainer damals schon vorausgeahnt. „Ich habe betont, dass Carsten das schaffen kann. Damals wurde ich nur müde belächelt. Mit der Qualifikation für die Olympischen Spiele war es genau dasselbe. Aber ich lag wieder richtig“, freut sich Janning, dass sein ehemaliger Schützling es endgültig allen Zweiflern gezeigt hat.

Die Erfolge schreibt Janning Schlangens größten Tugenden zu. „Carsten war und ist immer noch sehr ehrgeizig. Er kann über sich hinauswachsen“, betont er. „Der Junge hat schon damals in jedem Lauf gekämpft wie ein Löwe. Nur mit diesen Eigenschaften konnte er es bis in die Spitze schaffen.“ Sein Spitzname passt: die Schlange.

2001 ging der jetzige Olympiateilnehmer nach Berlin. In der Hauptstadt studiert Schlangen an der Technischen Universität Architektur. Zur optimalen Vorbereitung auf Peking hat er ein Urlaubssemester eingelegt. Im nächsten Jahr schreibt er seine Diplomarbeit. 2005 schloss sich der Meppener der LG Nord Berlin an. „Der Wechsel nach der Deutschen Vizemeisterschaft war richtig. Die Entfernung war zu groß. Wir haben uns ja kaum noch gesehen“, heißt Janning Schlangens Entscheidung gut. Er halte sich jetzt aus dem Trainingsbetrieb heraus und überlasse alle Entscheidungen Schlangens neuem Coach, Professor Dr. Roland Wolff. Der ist für seine außergewöhnlichen, aber Erfolg bringenden Trainingsmethoden bekannt. Er verschließt die Trainingspläne, so dass kein Athlet vor der Einheit weiß, was ihn erwartet.

Die langjährigen Weggefährten Janning und Schlangen haben sich nicht aus den Augen verloren. „Uns verbindet eine enge Freundschaft. Wir telefonieren oft miteinander“, steht der Sportler noch in regelmäßigem Kontakt mit seinem Mentor. Janning besucht so oft es eben geht Wettkämpfe seines Schützlings. So war er auch bei der Europameisterschaft 2006 im schwedischen Göteborg im Stadion.

Jetzt hat Schlangen die Qualifikation für die Olympischen Spiele geschafft. Beim ISTAF in Berlin knackte er in 3:34,99 Minuten über 1500 Meter die A-Norm (3:35,50 Minuten), beim internationalen Leichtathletik-Meeting im spanischen Jerez erfüllte er in 3:35,54 Minuten die B-Norm (3:36,30). Mit diesen Zeiten schließt er auf zu seinem Idol Haile Gebrselassie. Der 35-jährige Äthiopier, Weltleichtathlet des Jahres 1998, Ehrenbotschafter der Vereinten Nationen und Träger des Olympischen Ordens, lief am 6. Juni 1999 in Stuttgart die 1500 Meter in 3:33,73 Minuten – knapp eine Sekunde schneller als Schlangens Bestzeit. In Peking könnten sich die beiden wiedersehen, denn Gebrselassie wird über 10000 Meter an den Start gehen. Die Marathonteilnahme hat er wegen der hohen Luftverschmutzung und seines Asthmas abgesagt.

„Meine Olympiateilnahme ist eine große Sache. Ein Kindheitstraum erfüllt sich“, ist der Meppener begeistert. „Auch für das Emsland ist es toll. Viele haben es ja noch nicht geschafft“, zeigt sich Schlangen stolz auf seine Leistungen.

Dem Emsland steht Schlangen sehr nahe. Auf seiner Internetseite www.carsten-schlangen.de gibt es eine eigene Rubrik „Emsland“. Dort schildert der Meppener die Vorzüge seiner Heimat aus Sicht eines Leichtathleten. Er verweist auf Lauf-, Rad-, Nordic-Walking- und Ruderstrecken. „Ich fühle mich dem Emsland sehr verbunden“, erklärt der Architekturstudent. „Ich komme so oft es geht in meine Heimat. Das Emsland ist ruhiger als Berlin. Weniger Autos, schöne Natur. Ich kann mal ganz für mich sein“, liebt der 27-Jährige besonders die Ruhe der ländlichen Gegend.

Auch seine Familie ist dem Olympiateilnehmer sehr wichtig. „Ich bin gern bei meinen Eltern. Nach der Saison päppeln sie mich immer wieder auf“, sagt Schlangen. „Da habe ich einen Ort zum Zurückziehen und Abschalten“, fühlt sich der bodenständige Athlet daheim am wohlsten.

Vor den Spielen, die für ihn am 15. August mit dem 1500-Meter-Vorlauf um 13.10 Uhr beginnen, wird er nicht mehr ins Emsland kommen. „Nach Peking stehen noch lukrative Wettkämpfe in Europa an. Aber im September oder Oktober bin ich wohl wieder da“, freut sich Schlangen schon. Vielleicht bringt er ja eine Medaille mit…

Bericht im Originalformat (JPG) (PDF kommt nach)


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