Absprache erlaubt: Wer zieht Schlangen zur Norm?

Der beste deutsche 1500-Meter-Läufer sucht eine Gelegenheit, sich für Peking zu qualifizieren

FAZ - Wer zieht Schlangen zur Norm? Bild: Imago SportBERLIN. Carsten Schlangen ist auf dem besten Wege zu den Olympischen Spielen in Peking. Die A-Norm hat der deutsche Meister über 1500 Meter bereits erfüllt. Nun sucht er händeringend nach einer Chance, das zweite schnelle Rennen zu laufen, das der Deutsche Leichtathletik-Verband von ihm verlangt. Weil das so einfach nicht ist, hat er einen Sponsor gewonnen, der bereit ist, ihm für einen schnellen Lauf starke Konkurrenz und erstklassige Tempomacher zu finanzieren. Eine solche Unternehmung schlägt mit einigen tausend Euro zu Buche.

„Mein Problem ist nicht, dass ich nicht so schnell rennen könnte", sagt der 27 Jahre alte Läufer über die geforderte Zeit von 3:36,30 Minuten. Schließlich ist er beim Istaf bereits 3:34,99 gelaufen, eine halbe Sekunde unter der A-Norm. „Mein Problem ist, dass die Rennen in Deutschland generell zu langsam sind und dass es schwierig ist, bei internationalen Rennen einen Startplatz zu bekommen. Niemand stellt sich allein auf die Bahn und rennt eine solche Zeit."

Nicht wenige der knapp 70 000 Besucher des Istaf vor drei Wochen dürften sich gewundert haben, dass ausgerechnet der Zehnte des 1500-Meter-Laufs auf Socken um die Bahn sprang und jubelte, als wäre er gerade Weltmeister geworden. Das war Carsten Schlangen, der das Glück genoss, so schnell gerannt zu sein wie noch nie in seinem Leben. Zwei kenianische Tempomacher hatten das Feld in Schwung gebracht, wie man es nicht alle Tage erlebt: Weniger als 55 Sekunden brauchten sie für die erste Runde, gut 57 für die zweite, dann war ihre Arbeit getan. Ein Äthiopier übernahm die Führung und sorgte dafür, dass das Feld in 58,4 Sekunden über die dritte Runde kam. Der Kenianer Augustine Choge siegte in 3:31,57 Minuten. Bis heute führen er und die nächsten vier dieses Rennens die Weltbestenliste des Jahres an. Schlangen ist darin als zweitschnellster Europäer die Nummer zwanzig; Weltmeister Bernard Lagat liegt drei Positionen hinter ihm. 

An diesem Samstag wird Schlangen beim Europacup in Annecy für Deutschland starten. Das Rennen wird ein taktisches werden: keine Chance, die Norm zu laufen. Als vor einer Woche in Cottbus der Tempomacher ausfiel und Schlangen nicht so schnell lief wie erhofft, wählte er den 28. Juni als Tag X. Für das Sportfest in Biberach wollte er zwei Pacemaker verpflichten und zusätzlich zwei Athleten, die Normzeit laufen können. Das wäre nicht die größte Investition von Schlangen in die olympische Saison. Um ausgiebig trainieren zu können, hat er derzeit sein Architekturstudium ausgesetzt. Allerdings hat der kenianische Verband seine besten Läufer inzwischen in ein Trainingslager kommandiert; der Markt ist so gut wie leergefegt. Damit hat sich das Unternehmen Biberach erledigt – vorerst.

„Der mündige Athlet ist Kleinunternehmer", sagt Chefbundestrainer Jürgen Mallow. Er kennt die schwierige Situation der deutschen Mittelstreckenläufer, die mit „1b-Rennen" vorliebnehmen müssen. Deshalb hat er auch nichts gegen „gemachte Rennen", wie er Wettbewerbe unter Einsatz von Tempomachern nennt. „Carsten Schlangen hat den Vorteil, dass ihm Läufer aus dem eigenen Verein Tempo machen könnten", sagt er und denkt dabei offenbar an Franek Haschke und Jonas Stifel, die wie Schlangen für die Berliner LG Nord starten. Er bringt sogar einen neuen Tag X in die Diskussion: „Es ist schon gelungen, dass Läufer bei der deutschen Meisterschaft die Norm erfüllen." Die steht am ersten Juli-Wochenende in Nürnberg an.

Ulrich Hobeck, Veranstalter des Sportfestes in Cottbus und Präsident der Veranstalter-Organisation German Meetings, findet die Aussicht darauf, dass Schlangen und Freunde bei den Titelkämpfen gemeinsam die Norm angehen, hervorragend. „Dann würde das wenigstens nicht wieder so ein Mumpe-Rennen werden, das mit 3:43 Minuten weggeht", sagt er. „Ohne Absprachen bekommt man kein schnelles Rennen hin." Hobeck begrüßt das Engagement von Schlangen und seinem Sponsor, mit gezielten, zusätzlichen Verpflichtungen ein Rennen bei einem Meeting schnell zu machen. „Das ist legitim", sagt er. „Und es liegt im Interesse der deutschen Leichtathletik und des deutschen Sports, wenn der Athlet dadurch die Norm erfüllt."

Das ist ganz im Sinne Schlangens. „Im nächsten Jahr ziehen wir das auf alle Fälle durch", kündigt er an. Im Frühsommer werde er ein schnelles Rennen auf die Beine stellen, um sich darin für die Weltmeisterschaft in Berlin zu qualifizieren. Jetzt aber folgt er Plan B. Zum ersten Mal in seinem Leben lässt der unabhängige Geist Schlangen sich von einem Athletenmanager vertreten. Das erlaubt ihm, aus Annecy direkt nach Jerez zu fliegen, um beim Sportfest dort am Dienstag die Norm anzugehen.

„Was ist ein Meistertitel im Vergleich zur Teilnahme an Olympischen Spielen?", fragt Schlangen. Womöglich wird er es sein, der, wenn er qualifiziert ist, für seinen Trainingspartner Franek Haschke Tempo macht. Theoretisch sind in Peking für deutsche 1500-Meter-Läufer drei Startplätze frei.

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