Vom Regen ertränkt, vom Winde verweht

Abgesehen von Speerwerferin Obergföll wenig Herausragendes bei den Leichtathletik-Meisterschaften in Erfurt

Es ist lange her, dass der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) mal drei Weitspringer in seinen Reihen hatte, die innerhalb einer Saison die Acht-Meter-Marke überwunden haben. Vor diesem Wochenende war das Nils Winter (Leverkusen/8,12 m), Peter Rapp (Tübingen/8,10) und Christoph Stolz (Wolfs-burg/8,04) gelungen, und bei den nationalen Titelkämpfen in Erfurt gesellte sich am Samstag sogar ein weiterer hinzu: der Ludwigshaf ener Christian Reif als neuer deutscher Meister mit 8,08 m.

Und das komplizierte eine sowieso schon komplizierte Angelegenheit. Bei den Weltmeisterschaften vom 25. August bis zum 2. September in Osaka dürfen ja höchstens drei Athleten pro Land und Disziplin starten, im speziellen Fall der Weitspringer aber auch nur dann, wenn sie mindestens 8,20 m vorweisen können-die so genannte A-Norm des Weltverbandes IAAF. Wenn man nur einen Athleten nominieren möchte, genügt die etwas weichere B-Norm – im Weitsprung sind das 8,05 m. Welchen der drei Acht-Meter-Springer Winter, Rapp und Reif sollte Jürgen Mallow, der Leitende Bundestrainer des DLV, nun vorschlagen, wenn an diesem Montag die Verbandsgremien über die Nominierung beraten? Es wird wohl Christian Reif sein, der nominell schwächste der drei Kandidaten. Aber der hat die Mitbewerber im direkten Vergleich bezwungen und seine neue persönliche Bestleistung außerdem bei äußerst widrigen Bedingungen erzielt. „Die waren eine Katastrophe", fand Reif, „ich bin quasi im Monsun gesprungen."

Der erste Tag der Meisterschaften war in der Tat von heftigen Regengüssen beeinträchtigt, so dass zu den bislang 58 Qualifizierten für die WM zunächst zur zwei neue hinzukamen: Reif eben sowie die 400-m-Hürdenläuf erin Ulrike Urbansky vom heimischen Erfurter LAC, die sich bereits im Vorlauf mit ihren 55,44 Sekunden empfahl – bevor sich die grauen
Wolken entluden. Ansonsten aber muss-te Mallow bei seiner Zwischenbilanz einräumen, dass das Wetter „die Ergebnisse in mancher Hinsicht beeinträchtigt" habe. Zum Beispiel den Stabhochsprung der Männer, der wegen des Dauerregens abgesagt und auf den Sonntagvormittag verschoben wurde. Wo den Springern dann allerdings der Wind zu schaffen machte. Der Jahresbeste Tim Lobinger (Köln) und Titelverteidiger Lars Börge-ling (Leverkusen) produzierten unter diesen Bedingungen drei Fehlversuche bei ihren Anfangshöhen, einen Tag nach seinem 30. Geburtstag gewann Danny Ecker (Leverkusen) mit 5,70 m vor dem höhengleichen Björn Otto (Uerdingen/ Dormagen); die beiden werden wohl auch mit Europacup-Sieger Lobinger das DLV-Trio in Osaka bilden.

Wer dennoch im Regen antreten musste, beschränkte sich auf das Nötigste, wie die beiden Weltjahresbesten des DLV, Kugelstoßerin Peter Lammert (Neubrandenburg) und Speerwerferin Christina Obergföll (Offenburg). Lammert beließ es bei drei Versuchen, von denen der beste mit 19,30 m gemessen wurde. „Das war heute Aquaplaning im Ring", sagte sie, „da muss man sehr vorsichtig sein, und ich wollte im Hinblick auf die WM nichts riskieren, deswegen habe ich den Wettkampf abgebrochen." Europarekordlerin Obergföll (70,20 m) nahm ebenfalls nicht alle Versuche in Anspruch, ihr gelang nur ein gültiger Wurf, aber der war mit 66,59 m immer noch weiter als all das, was ihre internationale Konkurrenz in diesem Sommer zuwege gebracht hat. „Ich bin im Moment in der Form meines Lebens", sagte sie, „aber nachdem ich angefangen habe zu frieren, habe ich mir gesagt: Okay, warum sollte ich kurz vor der WM noch etwas riskieren?"

Bundestrainer Mallow hatte auch so genug gesehen vor seinen Vorzeige-Athletinnen: „Die Leistungen zeigen, dass sie sich auch mit widrigen Bedingungen auseinandersetzen können." Dem Risiko, sich vor der WM ernsthaft zu verletzen, ging tags darauf auch Hochspringer Eike Onnen (Hannover) aus dem Weg: Nach einem missglückten Versuch über die Anfangshöhe von 2,10 m verzichtete der 2,34-Meter-Mann wegen Rückenschmerzen auf eine weitere Titelverteidigung.

So gab es also wenig Herausragendes zu sehen bei diesen Meisterschaften, sieht man einmal von den Werferinnen ab: zu Lammerts und Obergfölls Weiten kamen am Sonntag noch Betty Heidlers Hammerwurf auf 74,94 und Franka Dietzsch' Diskuswurf auf 62,83 m hinzu. Andere prominente DLV-Athleten wichen auf Nebenbeschäftigungen aus. Die beiden Europameister Ulrike Maisch aus Rostock (Marathon) und Jan Fitschen aus Wattenscheid (10000 m) traten beispielsweise auf kürzeren Distanzen an: Maisch wurde in 16:42,24 Minuten Fünfte beim 5000-m-Sieg von Sabrina Mockenhaupt (Köln/15:23,71) und Jan Fitschen in 3:47,40 Sechster beim 1500-m-Erfolg von Carsten Schlangen (Berlin/3:41,59).

Die Zeiten auf den Laufstrecken waren mäßig aufregend, 5000-m-Sieger Arne Gabius (Tübingen), der mit Fitschen noch ein Ausscheidungsrennen um den einen WM-Startplatz des DLV bestreiten muss, sagte nach seinen 14:03,97 Minuten: „Zwischendurch habe ich mir schon gedacht, dass man sich eigentlich mal schnell eine Bratwurst holen kann, so langsam war es. "Man müsse nicht immer nur so"schnell laufen, wie man könne, entschuldigte Mallow, einst selbst Mittelstreckler, die Athleten: „Man kann auch mal nur laufen, um zu gewinnen." Und ums Gewinnen gehe es bei Meisterschaften nun mal in erster Linie, da dürfe man den Läufern keinen Vorwurf machen, wenn sie ein taktisches Rennen einem schnellen vorzögen.                              

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